Berliner Feuerwehr: Warum Sie im Dezember in Berlin keinen Infarkt bekommen sollten

  • 80 Jahr(e) alt, Weiblich, Bei Bewusstsein, Atmet. Code: 3-B-1: Notfallmeldung: w80#Zecke am Rücken. 1. Es handelt sich um einen Tierbiss. 2. Es ist nicht bekannt, wann es passierte. 3. Sie wurde von einem ungefährlichen (nicht EXOTISCHEN) Tier verletzt/gebissen: Zecke 4. Der Aufenthaltsort des Tieres ist nicht bekannt. 5. Es blutet nicht STARK. 6. Sie reagiert normal (Sie ist vollkommen wach). 7. Die Verletzung befindet sich in einer MÖGLICHERWEISE GEFÄHRLICHEN Körperregion (nicht Brustkorb/Hals/Kopf). 8. Es gibt Verletzungen - sie sind nicht oberflächlich oder schwer.

    Großartig, das gefällt mir.


    (Verklickt hat man sich vermutlich bei Frage 8, richtig? Interessant wäre ja, was passiert, wenn man dort "oberflächlich oder nicht schwer" auswählt, ob sich dann eine Ablehnung des Ersuchens mit Verweis an den Hausarzt ergibt ...)

  • Das Abfragesystem generiert nur Codes. Welche Reaktion auf welchen Code erfolgt, obliegt der jeweiligen Behörde.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Das Abfragesystem generiert nur Codes. Welche Reaktion auf welchen Code erfolgt, obliegt der jeweiligen Behörde.

    Ich könnte mir vorstellen, dass man bei der Reaktion auf entsprechende Standardwerke zurück greift, wie den NAIK der BÄK oder einem Pendant auf Landesebene. So ist das offiziell bei uns, dass sich an diesem Notarztindikationskatalog des Landes (über den LARD) orientiert wird (werden soll, nur strukturierte Abfrage), egal was die SOP der NotSan sagen.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Ich könnte mir vorstellen, dass man bei der Reaktion auf entsprechende Standardwerke zurück greift, wie den NAIK der BÄK oder einem Pendant auf Landesebene. So ist das offiziell bei uns, dass sich an diesem Notarztindikationskatalog des Landes (über den LARD) orientiert wird (werden soll, nur strukturierte Abfrage), egal was die SOP der NotSan sagen.

    Genau da liegt das Problem. Nicht die Software ist verantwortlich, sondern es sind die Menschen, die entscheiden, was bei welchem Code rollt.

    Am Ende kommt draussen aber an, dass die Software Mist ist. Frei nach dem Motto: Wenn ich nicht Schwimmen kann, ist die Badehose schuld.

  • Das gebe ich Dir absolut recht. Diese Verstrickungen finden sich ja nicht nur in der Einsatzentscheidungen zur Abfrage wieder. Die Notarztindikationskataloge (BÄK oder der Länder) ignorieren ja auch die SOP, die in den Kreisen vorliegen (oder umgekehrt). Da sind wir auch wieder an den Grenzen des Föderalismus, da übergeordnete Dinge (wie der NIAK) schlecht auf individuelle Lösungen auf kleinerer Verwaltungsebene Rücksicht nehmen können (oder wollen). Natürlich können die Lösungen auf Kreisebene schlechter sein (die SOP, diese Diskussion hatten wir vor kurzem hier ja auch). Die beste Lösung wäre, dass es einheitliche SOP (zu mindestens auf Landesebene) gebe, an denen auch die Einsatzentscheidungen Notarzt ja oder nein am Ende der Abfrage berücksichtigen (also eine Anpassung der NAIK an die SOP und an die Software für die standardisierte Abfrage). Irgendwie arbeiten in dieser Hinsicht alle aneinander vorbei.

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  • Alles hat eben seine Vor- und seine Nachteile.

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  • Die beste Lösung wäre, dass es einheitliche SOP (zu mindestens auf Landesebene) gebe, an denen auch die Einsatzentscheidungen Notarzt ja oder nein am Ende der Abfrage berücksichtigen (also eine Anpassung der NAIK an die SOP und an die Software für die standardisierte Abfrage). Irgendwie arbeiten in dieser Hinsicht alle aneinander vorbei.

    Das sehe ich nicht so. Der NAIK ist eine sachverständige Stellungnahme eines ärztlichen Gremiums, die keiner Anpassung an irgendeine Software bedarf. Im Gegenteil werden sich SOP und Software ggf. an den NAIK anpassen müssen - oder eben im Zweifel eine abweichende Handhabung begründen müssen.

  • Das sehe ich nicht so. Der NAIK ist eine sachverständige Stellungnahme eines ärztlichen Gremiums, die keiner Anpassung an irgendeine Software bedarf. Im Gegenteil werden sich SOP und Software ggf. an den NAIK anpassen müssen - oder eben im Zweifel eine abweichende Handhabung begründen müssen.

    Sind die Ergebnisse des Pyramidenprozesses, die den meisten mir bekannten SOP's zu Grunde liegen, nicht als sachverständige Stellungnahme anzusehen?

    Welche Stellungnahme wiegt mehr, falls sich Wiedersprüchlickeiten ergeben?


    Prinzipiell finde ich den neuen NAIK eine gelungene Weiterentwicklung, wenn man sich mit den Erläuterungen auseinander setzt. Aber bei meiner ILS habe ich ziemliche Bedenken, was die differenzierte Umsetzung betrifft.

  • Das sehe ich nicht so. Der NAIK ist eine sachverständige Stellungnahme eines ärztlichen Gremiums,

    Reicht es, wenn es ärztlich ist? Oder bedarf es noch eines Sachbezugs zum Rettungsdienst?

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  • Das sehe ich nicht so. Der NAIK ist eine sachverständige Stellungnahme eines ärztlichen Gremiums, die keiner Anpassung an irgendeine Software bedarf. Im Gegenteil werden sich SOP und Software ggf. an den NAIK anpassen müssen - oder eben im Zweifel eine abweichende Handhabung begründen müssen.

    Wie Rene P. dieses schon sagte, wird dass der Situation nicht gerecht. Die SOP, die es bereits gibt, müssten wieder vermehrt eskaliert werden, um dieser sachverständigen Stellungnahme wieder gerecht zu werden. Ab wann spricht man von starken, nicht beherrschbaren Schmerzen? Wie komplex muss diese Therapie sein? Hier wird Nalbuphin und S-Ketamin durch die NotSan angewendet, sowie werden zu "einfachen" Verletzungen (Hüftschmerzen nach Sturz, Armverletzung nach Sturz) mit "starken" Schmerzen RTW alleine entsendet. Nachforderungen von NEF sind nur sehr selten notwendig. Unfall auf der Autobahn, Fahrzeug steht abseits der Fahrbahn, niemand eingeklemmt, steht neben dem Fahrzeug. Standard-Unfall. Müsste ein Notarzt mit hin, macht aber keiner. Selten ist auch wirklich einer notwendig. Der typische Mittagseinsatz des Löschzuges. Unklare Rauchentwicklung Mehrfamilienhaus. Eine Person steht vor dem Haus und hustet. Löschzug und RTW. Müsste eigentlich ein Notarzt mit hin. Zack: Der RTH ist auf dem Wege! Ab wann genau ist die Rauchgasentwicklung eine Notarztindikation? Drohender Suizid. Wie schlimm genau? "Ich will nicht mehr, wenn jetzt nicht jemand kommt, bringe ich mich um". Das übliche Zauberwort ist gefallen (die spezielle Kundschaft weiß, was sie sagen muss). Fährt regelhaft dutzende Male am Tag ein RTW alleine raus. Ab wann genau soll der Notarzt mit hin? Eigentlich soll hier sowas sogar schon der NKTW machen (mit RettSan plus). Unmittelbare beginnende Geburt: Was ist unmittelbar und beginnend? Regelmäßige Wehen unter 10 Minuten, Blasensprung, häufiger Harn- und Stuhldrang werden als Zeichen einer beginnenden Geburt gesehen. Fährt der RTW regelhaft alleine. Also auch Notarzt mit hin. Zack: Der dritte Hubschrauber rollt. Pardon, er fliegt. Das zuständige NEF steht gerade beim angebrannten Essen oder in der Schule bei der 14jährigen Schülerin mit einer Hyperventilation rum (wegen "ausgeprägter Atemnot"; ja, soll irgendwie raus gefiltert werden. Muss man erst mal schaffen. Anruf über Dritte, usw.) … Irgendwie passt das alles nicht (oder noch nicht) zusammen. Auch ist die Frage, warum wir in den letzten Jahren die Weiterentwicklung der SOP vorangetrieben haben, wenn wir, theoretisch, eine Rolle rückwärts machen müssten? Wie werden die Inhalte vor Ort definiert und umgesetzt (in der Abfrage und Einsatzentscheidung)?

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  • Ich zitiere mal einen Einsatzzettel aus diesem Jahr:


    Was ist passiert: w80, Zecke am Rücken


    Ich finde, das veranschaulicht das Problem ganz gut.


    80 Jahr(e) alt, Weiblich, Bei Bewusstsein, Atmet. Code: 3-B-1: Notfallmeldung: w80#Zecke am Rücken. 1. Es handelt sich um einen Tierbiss. 2. Es ist nicht bekannt, wann es passierte. 3. Sie wurde von einem ungefährlichen (nicht EXOTISCHEN) Tier verletzt/gebissen: Zecke 4. Der Aufenthaltsort des Tieres ist nicht bekannt. 5. Es blutet nicht STARK. 6. Sie reagiert normal (Sie ist vollkommen wach). 7. Die Verletzung befindet sich in einer MÖGLICHERWEISE GEFÄHRLICHEN Körperregion (nicht Brustkorb/Hals/Kopf). 8. Es gibt Verletzungen - sie sind nicht oberflächlich oder schwer.


    Ich finde das veranschaulicht das Problem auch ganz gut. Das ist ja ein Anwenderfehler, darum kam 3-B-1 raus.

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  • Harris NRÜ , wenn der Disponent "häufigen Stuhldrang" als "unmittelbat bevorstehende Geburt" interpretiert und aus einer Hyperventilation bei einem Kind eine "ausgeprägte Atemnot" macht, kann die BÄK allerdings auch nichts dafür. Das ist dann viel eher die Defensivmedizin, über die wir uns (zu recht) immer aufregen.

    Genau wie der NotSan vor Ort eigenständige Entscheidungen treffen und diese verantworten muss, muss das halt auch der Disponent. Wer sich dann nur auf eine wachsweiche Formulierung aus der BÄK-Empfehlung zurückzieht, macht es sich halt auch sehr einfach. Was verdient man als Disponent? E9? Nur Mut!

  • Ich finde das veranschaulicht das Problem auch ganz gut. Das ist ja ein Anwenderfehler, darum kam 3-B-1 raus.

    Und wenn in diesem Fall das Programm einen RTW ausspuckt sehe ich den entsprechenden Disponenten in der Pflicht kurz innezuhalten und den Vorgang nochmal zu überdenken. Ich würde den Disponent*innen mal (naiver weise?) nicht unterstellen, dass sie die Disponierung eines RTW zu einem Zeckenbiss als sinnvoll ansehen.
    Aber das aktuelle System gibt es anscheinend nicht her, dass diese so entscheiden oder entscheiden dürfen und generiert auf diese Weise haufenweise unnötige Fehleinsätze. Das muss besser gehen.

  • Aber das aktuelle System gibt es anscheinend nicht her, dass diese so entscheiden oder entscheiden dürfen und generiert auf diese Weise haufenweise unnötige Fehleinsätze. Das muss besser gehen.

    Aber wenn der Disponent korrekt einträgt, entsteht ja so ein code nicht. Das ist doch sein versehen. Richtig ist aber, wenn der Code steht, darf der Disponent das nicht reduzieren.

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  • Richtig ist aber, wenn der Code steht, darf der Disponent das nicht reduzieren.

    Ich für meinen Teil habe auch heruntergestuft da so eine SNA einfach nicht jedes Krankheitsbild abbilden kann. Ich als Fachpersonal kann das aber, also mache ich es auch. Im Anschluss dann noch bei der Besatzung nachfragen um das eigene Tun zu überprüfen.

  • Ich für meinen Teil habe auch heruntergestuft da so eine SNA einfach nicht jedes Krankheitsbild abbilden kann. Ich als Fachpersonal kann das aber, also mache ich es auch. Im Anschluss dann noch bei der Besatzung nachfragen um das eigene Tun zu überprüfen.

    Das ist ja auch okay so für dich. In Berlin (darum gehts ja im Bsp) ist das aber untersagt. Dafür aber, haftet der AG vollumfänglich für alle Regressforderungen.

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  • Harris NRÜ , wenn der Disponent "häufigen Stuhldrang" als "unmittelbat bevorstehende Geburt" interpretiert und aus einer Hyperventilation bei einem Kind eine "ausgeprägte Atemnot" macht, kann die BÄK allerdings auch nichts dafür. Das ist dann viel eher die Defensivmedizin, über die wir uns (zu recht) immer aufregen.

    Genau wie der NotSan vor Ort eigenständige Entscheidungen treffen und diese verantworten muss, muss das halt auch der Disponent. Wer sich dann nur auf eine wachsweiche Formulierung aus der BÄK-Empfehlung zurückzieht, macht es sich halt auch sehr einfach. Was verdient man als Disponent? E9? Nur Mut!

    Das mit dem Stuhlgang hast Du aus dem Zusammenhang gezogen. Und ja, unter starken Geburtswehen ist Stuhldrang (oder ungewollter Abgang) nicht ungewöhnlich und zählt somit zu den Anzeichen einer beginnenden Geburt. Aber gut, geschenkt. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz. Die inhaltliche Frage ist ja wie dieses umgesetzt werden soll? Soll er sich an die NAIK halten (nur strukturierte Abfrage) oder orientiert sich die Software (standardisierte Abfrage) an den NAIK? Bei der standardisierten Abfrage müsste die Software die beginnende Geburt als NA-Indikation erkennen und entsprechend vorschlagen. Thema Schule und Hyperventilation: Den Schulen wurde hier schon tausende Male erklärt (auch über dem Wege QM), dass direkt vom Ort des Vorfalls der Notruf gewählt werden soll. Dieses passiert aber immer aus dem Sekretariat heraus, ohne das die Möglichkeit einer gezielten Rückfrage besteht. Und dann steht dem Disponenten nur die Information "Mädchen mit starker/akuter Atemnot" zur Verfügung. Das Problem ist nicht der Disponent, sondern die Organisation dahinter. Darf er selbst entscheiden? Muss er den NAIK beachten (was wäre bei einer Klage, wie im Berliner Fall)? Übernimmt das eine Software, die sich am NAIK orientiert, nicht aber an den örtlichen SOP? Und die SOP weichen hier deutlich vom NAIK ab. Was ist, wenn es schief geht? Orientiert sich das Gericht dann am NAIK ("das hätten sie aber wissen müssen", usw.). Das hat mit der Entgeltgruppe und dem Mut nichts zu tun, lieber Jörg. Hier geht es um die Systemorganisation, nicht um das individuelle Verhalten einzelner Disponenten.

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