Patientin nicht reanimiert: Rettungsassistent wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt

  • Ein 54-jähriger Rettungsassistent wurde vor dem Amtsgericht Reutlingen (Baden-Württemberg) wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu 30 Euro verurteilt.
    Der Rettungsassistent wurde im November 2009 zusammen mit einem Auszubildenden nachts zu einer 84-jährigen Hausnotrufteilnehmerin mit Atemnot gerufen. Vor Ort fand er die Patientin reglos in ihrem Bett vor; nach der Überprüfung der Vitalfunktionen, des neurologischen Status sowie nach einem Bodycheck entschied der Rettungsassistent, die Frau nicht mehr zu reanimieren. Das EKG zeigte eine Nulllinie, zudem habe die Frau blaue Finger gehabt. Die Tatsache, dass die Frau selbst noch den Hausnotruf betätigte, wurde ihm nach seiner Aussage erst später bekannt.
    Der vorsitzende Richter betonte, dass es sich bei den Feststellungen allesamt um unsichere Todeszeichen handelte und der Rettungsassistent verpflichtet gewesen wäre, eine Reanimation einzuleiten. Auch den Hinweis auf die Nullline durch den Anwalt des Angeklagten Rettungsassistenten lies die anklagende Staatsanwältin nicht gelten: "Das ändert nichts, da sie nicht wissen, wann die Nulllinie eingetreten ist." Ob das die logische Konsequenz sei, nichts mehr zu tun, sobald die Nulllinie eingetreten sei, fügte sie noch fragend hinzu.


    Der Umstand, dass die 84-jährige den Notruf noch selbst absetzte, wurde ihm erst nach der Entscheidung, nicht mehr zu reanimieren, durch seinen Kollegen mitgeteilt. "Aus medizinischer Sicht wäre dies relevant gewesen", räumte der Rettungsassistent vor Gericht ein. Der Richter warf ihm vor, seine Entscheidung nicht auf Basis der vollen Erkenntnis getroffen zu haben.
    Der sichtlich angeschlagene Rettungsassistent, der nach diesem Vorfall durch seinen Arbeitgeber gekündigt wurde und nicht mehr als Rettungsassistent arbeiten darf, wird inzwischen nur noch als Fahrer beim DRK eingesetzt. Zudem befand er sich nach dem Vorfall in psychotherapeutischer Behandlung. Dies werteten Staatsanwaltschaft und Gericht als Strafe, weshalb das Urteil mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 30 Euro unterhalb der Grenze zur Vorstrafe ausfiel. "Sie haben schon gebüßt", so der vorsitzende Richter.


    Quelle: http://www.swp.de/reutlingen/l…reutlingen/art5674,757606

  • Auch im stolzen Alter von 84 Jahren darf man nicht einfach so ableben (lassen)... :nein:

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  • Zwei Aussagen des Richters sind vielleicht noch erwähnenswert:


    Zitat

    "Sie bewegen sich in diesem Job permanent auf der Grenze der juristischen Strafbarkeit."


    Die Frage, ob die Entscheidung richtig oder falsch gewesen sei, könne juristisch eindeutig mit falsch beantwortet werden, sagte Schulze in seiner Urteilsbegründung. Die ethische Entscheidung hätte er aber nicht treffen dürfen.


    Ich behaupte, es gibt bundesweit jeden Tag solche Fälle, in denen Rettungsassistenten diese ethische Entscheidung treffen. Nur kommt es glücklicherweise selten zu solchen Folgen wie im vorliegenden Fall.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Auch im stolzen Alter von 84 Jahren darf man nicht einfach so ableben (lassen)... :nein:


    Ich kann zwar die Emotion hinter diesem Beitrag nachspüren, doch das im Personalausweis angegebene Lebensalter ist für mich erst einmal kein Grund für die Einleitung oder Nichteinleitung, Fortführung oder Beendigung irgendwelcher Massnahmen

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Mich würde interessieren, wer geklagt hat...


    Niemand, weil es sich um ein Strafverfahren handelt. Das könnte ganz einfach in Gang gekommen sein, wenn ein Tod aufgrund unnatürlicher / ungeklärter Ursache bescheinigt wurde.

  • Aus einem (inzwischen geschlossenen) Parallelthread:


    Zitat

    Was ich allerdings gerade nicht verstehe:
    Wenn das Gericht allerdings selbst davon ausgeht, dass die Patientin nicht zu retten gewesen wäre, dann dürfte doch die Hilfe gar nicht mehr erforderlich im Sinne des § 323c StGB gewesen sein, oder? Welchen Sinn sollte dann die Rea haben? Zudem ist bei § 323c StGB auch Vorsatz hinsichtlich der Erforderlichkeit der Hilfe notwendig, d. h. wenn der Täter irrig meint, seine Hilfe ist nicht notwendig, entfällt der Vorsatz und damit seine Strafbarkeit. Hmmm....


    Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft im Falle einer Abwendbarkeit des Todes der Patientin wegen eines Tötungsdeliktes ermittelt hätte (Begehen durch Unterlassen als Garant). Die einfache Unterlassung bleibt aber wohl - unabhängig von der Konsequenz - bestehen.
    Was die letzte Frage angeht, so muss von einem Rettungsassistenten, im Gegensatz zum Laien, wohl erwartet werden, dass er sichere von unsicheren Todeszeichen unterscheiden kann, weiterhin können aufgrund seiner Ausbildung und Funktion besondere Anforderungen an seine Entscheidungskompetenz gestellt werden.


    Jörg

  • Hat jemand möglicherweise Zugriff auf den Volltext des Urteils oder kennt wer das Aktenzeichen des Gerichts?

  • Wie ist das Team denn in die Wohnung gekommen, wenn sie nicht wussten, dass es ein Hausnotruf war? :hmm:
    Was mich noch interessieren würde: Wieso ist der RS unbestraft geblieben? Im Urteil um den erfrorenen (?) Obdachlosen wurden beide ähnlich bestraft. Der Unterschied RaiP <> RS wird es ja nicht sein, oder?

  • Wie ist das Team denn in die Wohnung gekommen, wenn sie nicht wussten, dass es ein Hausnotruf war? :hmm:
    Was mich noch interessieren würde: Wieso ist der RS unbestraft geblieben? Im Urteil um den erfrorenen (?) Obdachlosen wurden beide ähnlich bestraft.


    genau. die beiden wurden überhaupt nicht bestraft.

  • Was er - glaube ich - sagen wollte, ist, dass der RettSan in deinem Fall prinzipiell als gleich- oder zumindest ähnlich verantwortlich betrachtet wurde.

  • Hat jemand möglicherweise Zugriff auf den Volltext des Urteils oder kennt wer das Aktenzeichen des Gerichts?


    Das dürfte noch nicht in den Datenbanken stehen, wenn es denn überhaupt darin veröffentlicht wird. Im Zweifel bietet sich ein Schreiben an das Gericht an.


    In der Sache lesen wir im Schönke / Schröder (§ 323c, Rn. 9): "liegt kein Unglücksfall vor, wenn das Schadensereignis abgeschlossen ist und weitere Schäden nicht eintreten können, zB, wenn der Verletzte bereits tot ist (BGH 1 269, 32 381, NStZ 85, 501, Eisele I RN 958, Rengier II 42/4, Rudolphi/Stein SK 11)". Das Problem wird nur sein: Erstens war die Patientin noch nicht tot, und zweitens könnte das Gericht bedingten Vorsatz angenommen haben. Ist aber alles Kaffeesatzleserei. In der Sache geht die Entscheidung ohnehin in Ordnung.

  • Moin


    Was die letzte Frage angeht, so muss von einem Rettungsassistenten, im Gegensatz zum Laien, wohl erwartet werden, dass er sichere von unsicheren Todeszeichen unterscheiden kann, weiterhin können aufgrund seiner Ausbildung und Funktion besondere Anforderungen an seine Entscheidungskompetenz gestellt werden.


    Sehe ich ähnlich...aber was ist die Konsequenz daraus??hättest du genau so gehandelt aufrgund deines Satzes? Ich interpretiere das so: Der RA hat Aufgrund seiner Ausbildung und Funktion......die Situation richtig eingeschätzt und gehandelt.

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • ja scheint so... :rolleyes:
    in den geschlossenen Thread steht:warscheinlich wäre die Pat. auch durch die Rea nicht zu retten gewesen(oder so ähnlich)
    is mir schon wieder zu rechtlich und verworren :hmm:
    Aber wie schon öfter festgestellt wurde: Recht haben und Recht bekommen sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...


  • (...)Der RA hat Aufgrund seiner Ausbildung und Funktion......die Situation richtig eingeschätzt und gehandelt.

    Nein, hat er gerade nicht. Zumindest ist das der Vorwurf, dem wohl die Verurteilung zu Grunde liegt. Er hat die Situation gerade nicht richtig eingeschätzt, da er sich aufdrängende Gesichtspunkte unberücksichtigt lies, oder zumindest nicht bedacht hat. Soweit ich das aus den hier bekannten Details entnehme, hat er bei der Entscheidung ausser Acht gelassen, dass es sich um einen Hausnotruf-Alarm handelt, den die nunmehr Verstorbene noch selbst ausgelöst hat.


    Wenn in einem solchen Fall die Indikation zur Reanimation gegeben ist und keine überzeugenden Gründe angeführt werden können, dies nicht zu tun, hat man richtigerweise ein Problem.


    Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über das selbe Thema malen. (Pablo Picasso)

  • ja scheint so... :rolleyes:
    in den geschlossenen Thread steht:warscheinlich wäre die Pat. auch durch die Rea nicht zu retten gewesen(oder so ähnlich)
    is mir schon wieder zu rechtlich und verworren :hmm:
    Aber wie schon öfter festgestellt wurde: Recht haben und Recht bekommen sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

    In dem Fall wird man wohl sagen müssen: Der Kollege hatte nicht Recht und folgerichtig auch nicht Recht bekommen...


    Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über das selbe Thema malen. (Pablo Picasso)

  • Wenigstens das Problem hat man in Österreich nicht, wenn ich als RS oder NFS zu einem Patienten komme muß ich reanimieren :dash: Ein Problem habe ich dann wenn eindeutige Todeszeichen vorliegen, wie nicht wegdrückbare Leichenflecke, Rigor usw. dem Gesetz nach müßte ich die Person aus dem Bett ziehen und die REA durchführen, da nach österreichischem Recht selbst ein vollapprobierter Arzt nicht den Tod feststellen darf, sondern dies nur "vorläufig" durchführt. Nach dem Landessanitätsgesetz der Steiermark muß:



    Der NA hat somit einen Behandlungsschein auszustellen, bzw. vom Hausarzt beizubringen. Allerdings darf der NA wenigstens Maßnahmen der REA einstellen und bis der Destriktsarzt kommt kann viel Zeit vergehen. Bei meinem ersten Einsatz in der Ausbildung wurden wir mit der Mitteilung Exitus, vermutlich zwischen 3 und 5 Uhr morgens, zu einer Familie auf dem Land geschickt, weil diese sich nicht anders zu helfen wußte, etwa gegen 7.30 . Das ganze geschah Samstagsmorgens und da sind Ärzte meist schwer zu erreichen. Wir fragten nur bei der Leitstelle, was wir eigentlich machen sollen, weil wenn die Aussagen der Angehörigen stimmen kann man nicht viel machen und der Hausarzt hatt am Abend vorher der Familie schon gesagt, dass ihr Angehöriger die Nacht wohl nicht überleben wird (mit 92 oder so in etwa darf man wohl auch entschlafen). Das Ende vom Lied war, dass wir beim Ausrücken gleichzeitig die Exekutive informierten mit der Bitte den Polizeiarzt (hat die gleichen Rechte wie der Destriktsarzt) beizubringen, weil wir ansonsten den Verstorbenen reanimieren müßten und dass ist für die Familie dann eine größere Belastung.


    Am Ende kamen wir an und die Angehörigen waren eigentlich völlig gefasst. Nur brauchten sie halt eine ärztliche und dann eine amtsärztliche Bestättigung des Todes um die Bestattung zu informieren. Wir konnten mit unseren Mitteln eh keine große Diagnostik fahren, weil auf den "RTW's" kein EKG ist und konnte nur die sichtbaren Todeszeichen feststellen. Glücklicherweise wurden wir in der Anfahrt vom Polizeiarzt in Kenntnis gesetzt, dass wir wenn wir uns sicher sind nach Rückfrage keine REA durchführen müssen. Denn hätten sie erst Montag den Hausarzt angerufen, hätte es auch einen schönen Artikel gegeben.


    Von daher gilt auch wenn ich mir sicher bin, dass nichts zu machen ist reanimiere ich um dem Gesetz genüge zutun. Das ich dabei hoffe, dass es für den Patienten nicht klappt, habe ich im Pflegeheim immer wieder und dort ist es eigentlich auch so dass wir den Jumbo (eigentlich die einzigen RTW's in der Stadt) und den NEF mit allem was sie haben anfordern müßte und derzeit geschieht das um sich abzusichern auch immer mehr.