Patientin nicht reanimiert: Rettungsassistent wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt

  • Völliger Realitätsverlust?


    Gibt es auch sinnvolle Antworten?


    Der Arzt wird sich in der Regel nicht "nur " auf die Übergabe verlassen. Er wird meistens selbst eine Untersuchung / Anamnese durchführen und erheben und dann die Entscheidung treffen. Das ist aber sicher nicht der entscheidende Punkt, sondern die Wörter "wirklich einfach"

    Speed is life!
    Es gibt 10 Arten von Menschen. Solche, die binär zählen können, und Solche, die es nicht können.

  • Hängt Ihr Euch jetzt wirklich an zwei Wörtern auf? Faszinierend!


    Ihr? Im Moment nur ich. :stick:
    Hm... jetzt häng ich mich an nur einem Wort auf... :hallo:

    Speed is life!
    Es gibt 10 Arten von Menschen. Solche, die binär zählen können, und Solche, die es nicht können.

  • [...] In dieser Zeit kann man eine Anamnese erheben und vielleicht noch wichtige Details zum Sterbenden herausfinden. Dies alles sollte in der Phase, in der der Notarzt noch nicht da ist schon gelaufen sein.[...]


    Also, wenn ich mir meine letzte Reanimationen im Rettungsdienst so durch den Kopf gehen lasse, war die Menge an Informationen, die ich anamnestisch gewinnen konnte, bis der Notarzt wenige Minuten nach dem RTW eintraf, ziemlich überschaubar und betraf in aller erster Linie die Zeitspanne unmittelbar vor dem Ereignis.


    Gruß, Christian

  • Man muss hier einfach ein wenig zwischen den verschiedenen Systemen unterscheiden.
    Selbst Rettungsdienste im urbanen Raum sind kaum untereinander vergleichbar, da die Alarmierungskriterien für Notarzteinsätze oft massiv schwanken (am Beispiel Bayern: Nürnberg: bis 70% aller Notfallereignisse. München 28%), vom Vergleich zwischen dem urbanen/suburbanen Raum mit einem ernsthaft ländlichen ganz zu schweigen.
    Meine letzte Reanimation war ein gemeldeter Kollaps ohne NA, dafür aber mit HVO (der aber auch nur 1 min. vor uns da war).
    In den folgenden 27 Minuten bis zum NA Eintreffen hast du dann doch sehr sehr viel Zeit eine ernsthafte Anamnese durchzuführen. Wenn du natürlich mit NA auf "Bewusstlos" fährst im urbanen Raum...Da hälst du im Zweifelsfall noch die Türe offen....

  • Hängt Ihr Euch jetzt wirklich an zwei Wörtern auf? Faszinierend!

    So eine Situation erfordert einfach ein etwas differenzierteres Vorgehen als von dir beschrieben. Kannst du dich z.B. immer auf das verlassen was Angehörige dir erzählen? Kannst du wirklich den mutmaßlichen Willen des Patienten eruieren?

  • Ich finde CoCos Worte ziemlich zutreffend. Wenn ich allem oder jedem, der am Auffindeort eines Patienten zugegen ist bezüglich seiner Aussagen zum Patienten und seiner Situation zuallererst Mißtraue, darf ich in der Bäckerei auch nicht den ausgezeichneten Preis für den Käseplunder bezahlen, sondern muss mir den Filialleiter kommen lassen... Wie wär's man ließe Augenmaß walten und die Kirche im Dorf. Das Leben ist eine sexuell übertragene Krankheit, die unweigerlich mit dem Tod endet....

    Unter den Blinden ist der Einäugige der Arsch - er muss allen Anderen vorlesen...

  • Der Vergleich mit der Bäckerei ist m.M. nach jetzt nicht so ganz passend. Ich würde meinen Mitbürgern zugestehen dass beim geringsten Zweifel alles unternommen wird um deren Leben zu retten.
    Zudem ist das ganze keine Basisdemokratische Entscheidung. Es geht nicht darum was Angehörige, Schaulustige, Rettungsassistenten oder sonstjemand anderes will.

  • Zudem ist das ganze keine Basisdemokratische Entscheidung. Es geht nicht darum was Angehörige, Schaulustige, Rettungsassistenten oder sonstjemand anderes will.


    Im Zeitalter der "Wutbürger" wird das aber halt in Deutschland immer öfter angenommen oder gar vorausgesetzt...


    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-74184564.html
    http://www.tagesschau.de/inland/wortdesjahres106.html


    ;) J.

  • Ich rede nicht von Basisdemokratie, sondern von gesundem Menschenverstand. Dass ich mir die Entscheidung Rea ja/nein von niemandem abnehmen lasse, wenn ich als erster vor Ort bin und sie von verschiedensten Faktoren abhängig mache hat auch nichts mit Wutbürgertum sondern mit Erfahrung, Augenmaß und manchmal sogar mit Menschlichkeit zu tun. Und ich übernehme im Bezug auf mir zugetragene Informationen im Rahmen dieses Maximalnotstandes prinzipiell zunächst mal solange die Unschuldsvermutung, wie mein Näschen (nennt es Intuition, wenn ihr wünscht) mich nichts anderes vermuten lässt. Und das ist eher selten der Fall...


    Die Fälle, in denen ich mich beim Einleiten einer Rea zurückgehalten habe sind eher selten und zumeist durch eine Auffindesituation gekennzeichnet, die alle Maßnahmen maximal Aussichtslos erscheinen lässt (z.B. sicher Todeszeichen). Was mich allerdings in diesem Thread ein wenig verwundert ist die anscheinende Unterstellung von Leichtfertigkeit beim Umgang mit derlei Dingen und dafür sollte man bei geringer persönlicher Kenntnis seines Gegenübers erstmal Abstand nehmen.


    Darüber hinaus ist der RD eine wenn auch höchstnotwendige so doch "nur" eine Dienstleistung und daher ist der Vergleich mit anderen Dienstleistungen in Einzelaspekten durchaus zulässig. Dass die Bäckereifachverkäuferin in aller Regel nicht über Leben und Tod entscheiden muss, ist mir im Übrigen auch klar

    Unter den Blinden ist der Einäugige der Arsch - er muss allen Anderen vorlesen...

  • Hey Mowl,


    ich hätte nie gedacht das wir beide mal zu einem Thema absolut gleicher Meinung sind ;-)


    Ich habe in der Vergangenheit auch schon hin und wieder trotz nicht vorhandener sicherer Todeszeichen auf eine Reanimation verzichtet! Das bedeutet hätte man mich damals angezeigt, oder der NA Stress gemacht dann hätte ich da auch schon voll reintappen können!


    Das Alter im Personalausweis ist für mich nicht von Gegenstand. Für mich ist von Gegenstand ob ich den Eindruck bekomme das der Patient es sicher gewollt hätte reanimiert zu werden.


    Den Pflegefall im Heim, untergewichtig und am ende seines Leidensweg angekommen den reanimiere ich sicher nicht mehr! Da ist mir dann auch das Alter wurscht. Ob mit 30, 60 oder 90. Wenn hier eine Jahrelange Leidensgeschichte vor mir liegt, das sagen einem die Pflegekräfte oder Angehörige dann ist die Entscheidung schnell getroffen.


    Ein sehr alter Mensch, Pflegefall im Privaten Haushalt: Hier sind oft Angehörige vor Ort, die man fragen kann, warum sie den Rettungsdienst gerufen haben. Der RD wird doch oft nur gerufen, weil man als Angehöriger nicht weiss was man machen soll oder was nun passieren soll. Die meisten wissen ja auch gar nicht das der zu Pflegende gerade entschlummert ist. Dann sage ich den Angehörigen
    "Ihre Mutter hat keine Lebenszeichen, sollen wir wiederbeleben? Hätte ihre Mutter das gewollt?"
    Oft entscheidet man dort "NEIN bitte quälen sie sie nicht"
    Es geht um den Willen des Patienten, und diesen kann nur der Patient oder seine nächsten Angehörigen formulieren. Man muss oftmals einfach glauben können was einem gesagt wird.


    Beide Fälle sind formaljuristisch von mir ganz klar falsch entschieden. Doch ich habe eine Verantwortung meinem Gewissen gegenüber wie auch vor allem dem Patienten gegenüber. Ich finde es persönlich sehr schlimm, das ein Mensch nur unter Umwege in Ruhe sterben darf. Natürlich muss auch verhindert werden das andere vielleicht so eine Situation ausnutzen um vielleicht an Erbe etc. zu kommen. Nur das steht für mich nicht im Vordergrund.


    Warum reanimieren wir junge Menschen über einen Zeitraum vom schon fast mehren Stunden um den Angehörigen neurologische Totalschäden zu hinterlassen?! Nur um die Hoffnung nicht sterben zu lassen?! Fakt ist, wenn an der Einsatzstelle nicht schon begonnen wird geeignete Maßnahmen zu ergreifen, dann sind die Chancen für ein gutes Outcome fast illusorisch! Die Statistik zeigt dies ganz deutlich!


    Ich fände es sehr schade, wenn die Kollegen in Zukunft gegen den Willen von Angehörigen und Patient solche Maßnahmen einleiten würde, nur damit der Notarzt noch die Chance bekommt JA oder NEIN zu sagen! Es muss doch schlimm aussehen, man holte den RD weil man unsicher und hilflos war, dann trifft man eine Entscheidung und dann wird auf dem Angehörigen herumgedrückt!


    Ich habe selber schon mehrfach Patienten über 80 Jahre, Zur Lyse gebracht, als Zeitfenster beim Neurologen angemeldet und reanimiert! Auch wenn die Ärzte später meinten "ist doch schon 80 oder so" Ich denke die Lebensqualität ist das, was einer der Maßstäbe sein sollte. Auch ein 80jähriger der rüstig und fit ist, hat meiner Meinung das Recht auf einen Herzkatheter, eine Schlaganfallversorgung oder auch eine Reanimation.


    Grüße


    Marco

    Der Inhalt des Textes, möchte keine Lehrmeinung vertreten er stellt eine rein persönliche Ansicht des Autors da. Die Nutzung ausserhalb des Forums ist nicht gestattet.
    * 150 Jahre Deutsches Rotes Kreuz, Aus Liebe zum Menschen * :rtw:

  • Ah. Danke für die Zusatzinfo.

    Wie sagte schon Oscar Wilde zutreffend: Gesegnet seien jene die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten...


    Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über das selbe Thema malen. (Pablo Picasso)

  • @ MaMo und Mowl,


    ihr habt das wunderschön ausgedrückt, besser als ich auf jeden Fall.
    Auch bei mir sind die Situationen, in denen ich eine Reanimation trotz fehlender sicherer Todeszeichen unterlasse, immer die Ausnahme gewesen.
    Aber ich kann mich in manchen Situationen nicht gegen mein Gewissen entscheiden. Wenn ich die Wahl habe, juristisch oder moralisch richtig zu handeln und das eine das andere ausschließt, entscheide ich mich für für moralisch. Und mir ist bewusst, dass das juristisch für mich dann auch problematisch werden kann.

  • Ich habe in der Vergangenheit auch schon hin und wieder trotz nicht vorhandener sicherer Todeszeichen auf eine Reanimation verzichtet! Das bedeutet hätte man mich damals angezeigt, oder der NA Stress gemacht dann hätte ich da auch schon voll reintappen können!


    Die Frage ist ja nicht, ob man das tut, sondern warum man das tut. Es mag dafür - in Ausnahmefällen - gute Gründe geben; die muß man dann aber auch entsprechend vorbringen können.


    Die aus der Presseberichterstattung ablesbare Begründung ("blaue Finger", "Nulllinie") oder das bloße Alter der Patientin genügen m.E. nicht, Wiederbelebungsmaßnahmen zu unterlassen.


    Den Pflegefall im Heim, untergewichtig und am ende seines Leidensweg angekommen den reanimiere ich sicher nicht mehr! Da ist mir dann auch das Alter wurscht. Ob mit 30, 60 oder 90. Wenn hier eine Jahrelange Leidensgeschichte vor mir liegt, das sagen einem die Pflegekräfte oder Angehörige dann ist die Entscheidung schnell getroffen.


    Vernünftig.


    Ein sehr alter Mensch, Pflegefall im Privaten Haushalt: Hier sind oft Angehörige vor Ort, die man fragen kann, warum sie den Rettungsdienst gerufen haben. Der RD wird doch oft nur gerufen, weil man als Angehöriger nicht weiss was man machen soll oder was nun passieren soll. Die meisten wissen ja auch gar nicht das der zu Pflegende gerade entschlummert ist. Dann sage ich den Angehörigen
    "Ihre Mutter hat keine Lebenszeichen, sollen wir wiederbeleben? Hätte ihre Mutter das gewollt?"
    Oft entscheidet man dort "NEIN bitte quälen sie sie nicht"
    Es geht um den Willen des Patienten, und diesen kann nur der Patient oder seine nächsten Angehörigen formulieren. Man muss oftmals einfach glauben können was einem gesagt wird.


    So ist es.


    Beide Fälle sind formaljuristisch von mir ganz klar falsch entschieden.


    Wieso?


    Natürlich muss auch verhindert werden das andere vielleicht so eine Situation ausnutzen um vielleicht an Erbe etc. zu kommen. Nur das steht für mich nicht im Vordergrund.


    Diese Annahme, die gerne zitiert wird, halte ich für völlig abstrus. Wenn man von dieser Möglichkeit als realistisch ausgeht, muß man bei jedem Notfall die Fremdanamnese vollständig ignorieren.


    Ich habe selber schon mehrfach Patienten über 80 Jahre, Zur Lyse gebracht, als Zeitfenster beim Neurologen angemeldet und reanimiert! Auch wenn die Ärzte später meinten "ist doch schon 80 oder so" Ich denke die Lebensqualität ist das, was einer der Maßstäbe sein sollte. Auch ein 80jähriger der rüstig und fit ist, hat meiner Meinung das Recht auf einen Herzkatheter, eine Schlaganfallversorgung oder auch eine Reanimation.


    Und deshalb sollte man bei einem Hausnotrufalarm, der durch den Teilnehmer ausgelöst wird, reanimieren. ;)


    -thh

  • Ich kann zwar die Emotion hinter diesem Beitrag nachspüren, doch das im Personalausweis angegebene Lebensalter ist für mich erst einmal kein Grund für die Einleitung oder Nichteinleitung, Fortführung oder Beendigung irgendwelcher Massnahmen


    Genau! Die Rea hätte eingeleitet werden müssen. Wenn er über Leben und Tod entscheiden will, dann soll er entweder Medezin studieren oder ensprechende Computerspiele kaufen. Es kann doch nicht sein, dass das Alter entscheidend für die geleistete Behandlung ausschlaggebend ist.


    Stellt euch vor, ihr seid so alt und erleidet das gleiche Schicksal. Macht euch dieser Gedanke froh? Mich nicht besonders...