Kritik der Stuttgarter Ärzteschaft: Rufnummer 116 117 – "Patienten kommen nicht durch"

  • Das ist dann - nach der Fehlallokation durch den ÄBD - m.E. der zweite Fehler: Warum RTW-Transporte, die ersichtlich nicht indiziert sind?

    Weil es (viel!) zu wenige KTW gibt und der ÖPNV bei Infektionskrankheiten als Option ausfällt.

  • Das ist dann - nach der Fehlallokation durch den ÄBD - m.E. der zweite Fehler: Warum RTW-Transporte, die ersichtlich nicht indiziert sind?

    Das ist ein Phänomen, das typisch ist für jede Form von social loafing. Man könnte ja sagen, dass die einzelnen Akteure auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, nämlich die punktuelle Lösung des jeweils aktuellen Gesundheitsproblems eines bestimmten Patienten, sprich: Wir ziehen diesbezüglich alle an einem Strang. Dass jetzt ein einzelnen Akteur weniger (oder überhaupt nicht) zieht, wie es sozialpsychologisch geradezu typisch ist, heißt nicht automatisch, dass die anderen nicht mehr ziehen - im Gegenteil. Je weniger ein Einzelner zieht, desto mehr müssen die anderen ziehen, die an der Problemlösung beteiligt sind. Sonst kommen ja auch die anderen mit ihrer Handlung nicht am Ziel an.


    Die Lösung wäre vermutlich, die Beiträge der einzelnen Akteure zur Problemlösung differenziert sichtbar zu machen in einer regelmäßig veröffentlichten Statistik. Oder aber, auf die Einhaltung des per se ja vorgeschriebenen Lösungsweges zu beharren - sprich, zu fordern, dass ein nicht-notfallmäßiger Transport obligatorisch von einem Arzt anzuordnen ist, bevor er stattfindet und so dafür zu sorgen, dass der ÄBD auf jeden Fall (zu den Dienstzeiten - andernfalls der Hausarzt) beim Patienten erscheinen muss. Eine Kombination dieser Lösungen wäre, den Nicht-Notfall-Transport mit dem RTW auf Auslage des Patienten durchzuführen, sprich, der Patient muss zunächst die Kosten selbst erstatten und kann sie im Anschluss bei der Krankenkasse geltend machen. Die Kasse bekommt auf diese Weise jedenfalls die Möglichkeit, festzustellen, wo der ÄBD "versagt" hat.


    Ich muss aber natürlich auch Jörg beipflichten, wenn er sagt, dass es einfach zu wenige KTW gibt. Es wäre ja auch zumindest so eine Art Lösung des Problems, wenn die Patienten auch ohne RTW trotzdem relativ zügig in die Klinik und von dort auch wieder wegkämen.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Der Transport eines Patienten, der keiner klinischen Versorgung bedarf, in eine Klinik wird auch im KTW nicht richtiger ...

    Vor einer Weile musste ich mal ein Ersatzteil für eine Waschmaschine besorgen. Man konnte Ersatzteile in kleinen Sets mit unterschiedlichen Teilen bestellen, nicht jedoch das Teil, was ich lediglich brauchte, einzeln. Es verhält sich also so wie mit den Gummibärchen. Ich will nur die roten, die gelben und die orangenen haben, muss aber zwangsweise auch die weißen und die grünen kaufen, weil ich sonst die anderen nicht haben kann. Wenn eine ambulante Versorgung nicht möglich ist, weil weder Hausarzt noch ÄBD erreichbar und zu motivieren sind, muss man den Patienten wohl in die Klinik befördern, aber nicht, weil eine klinische, sondern nur, weil eine ärztliche Therapie erforderlich ist. Die Klinik, das ist in diesem Fall die grünen und die weißen Gummibärchen.


    Was wäre Deiner Meinung nach die Alternative?


    Nehmen wir folgenden Fall aus meinem letzten RTW-Dienst:


    Eine ältere Frau mit chronischem Schmerzzustand der Wirbelsäule, jetzt neuerlich mit starken Schmerzen. Gewünscht war ein Arzt, der vorbeikommt, um ein Schmerzmittel zu verabreichen. Hausarzt: Geschlossen. ÄBD: Faktisch nicht erreichbar. Jetzt stehe ich vor der Wahl, die Patientin in eine Klinik zu befördern, wo sie vermutlich relativ zeitnah eine Schmerzbehandlung bekommt, oder dies nicht zu tun. Letztes würde dazu führen, dass die Patientin innerhalb der nächsten Stunden vermutlich keine Schmerztherapie bekommt.

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  • Nehmen wir folgenden Fall aus meinem letzten RTW-Dienst:


    Eine ältere Frau mit chronischem Schmerzzustand der Wirbelsäule, jetzt neuerlich mit starken Schmerzen. Gewünscht war ein Arzt, der vorbeikommt, um ein Schmerzmittel zu verabreichen. Hausarzt: Geschlossen. ÄBD: Faktisch nicht erreichbar. Jetzt stehe ich vor der Wahl, die Patientin in eine Klinik zu befördern, wo sie vermutlich relativ zeitnah eine Schmerzbehandlung bekommt, oder dies nicht zu tun. Letztes würde dazu führen, dass die Patientin innerhalb der nächsten Stunden vermutlich keine Schmerztherapie bekommt.

    Akute Schmerzzustände sind auch zeitnah zu behandeln. Wenn die zugesicherte ambulante Versorgung nicht erbracht wird, was selbstverständlich zu kritisieren ist, dann ist eine (ambulante) Krankenhaus-Versorgung vermutlich die einzig denkbar schnelle Lösung.


    Das gilt aber deswegen nicht gleichzeitig für alle anderen Patienten, bei denen die ambulante Versorgung nicht stattfindet. Bei den überwiegenden Teil Covid-Patienten ist körperliche Schonung und ggf. die Einnahme von leichten Schmerz- oder fiebersenkenden Mitteln vollkommen ausreichend. Dafür bedarf es keines Kliniktransportes.

  • Man kann über die Webshops auch gezielt nur die roten Gummibärchen kaufen. :P

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Verflucht. Mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich das gewusst hätte.

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  • Damit das ganze sich nicht nur an den infektiösen Patienten aufhängt: der von mir am Anfang der Diskussion beschriebene Arzt, der nie raus fährt, macht das nicht von der Krankheit abhängig. Er fährt einfach nie raus, egal was der Patient hat. Er wimmelt alle am Telefon ab oder „vermittelt“ sie an den Rettungsdienst.


    Das geht soweit, dass gerüchteweise sogar die Fahrer des Ärztetaxi nach Hause gehen.

  • Damit das ganze sich nicht nur an den infektiösen Patienten aufhängt: der von mir am Anfang der Diskussion beschriebene Arzt, der nie raus fährt, macht das nicht von der Krankheit abhängig. Er fährt einfach nie raus, egal was der Patient hat. Er wimmelt alle am Telefon ab oder „vermittelt“ sie an den Rettungsdienst.


    Das geht soweit, dass gerüchteweise sogar die Fahrer des Ärztetaxi nach Hause gehen.

    Ich frage mich immer, wie solche Fehlleistungen, von denen offenbar jedermann weiß, über längere Zeiten stattfinden können.

    Das bedeutet ja immerhin auch, dass dieses Verhalten geduldet und so hingenommen wird. Gibt es da tatsächlich keine Wege zu intervenieren?

  • Sowas wird auch gerne mal toleriert, weil die zusätzlichen Dienste dann ggf. jemand machen müsste, der das nicht nötig bzw. einfach keine Lust / Zeit hat.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

  • Ich frage mich immer, wie solche Fehlleistungen, von denen offenbar jedermann weiß, über längere Zeiten stattfinden können.

    Das bedeutet ja immerhin auch, dass dieses Verhalten geduldet und so hingenommen wird. Gibt es da tatsächlich keine Wege zu intervenieren?

    Für Baden-Württemberg kann ich sagen, dass die KVBW Beschwerden durchaus bearbeitet. Aber wer aus dem Lager der Profis beschwert sich schon. Und wie viele berechtigte Beschwerden benötigt es, bis diese im "Rauschen der Beschwerden" auffallen? Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich die Mehrheit darauf "ausruht", dass sich schon jemand anderes kümmern wird, es wüssten ja alle.

  • Sowas wird auch gerne mal toleriert, weil die zusätzlichen Dienste dann ggf. jemand machen müsste, der das nicht nötig bzw. einfach keine Lust / Zeit hat.

    Aber es könnte ja auch von jemandem von außerhalb des (unmittelbaren) Systems nicht toleriert werden. Gegebenenfalls ist ein solches Verhalten nicht nur standesrechtlich problematisch, sondern gar strafrechtlich relevant.

  • Sowas wird auch gerne mal toleriert, weil die zusätzlichen Dienste dann ggf. jemand machen müsste, der das nicht nötig bzw. einfach keine Lust / Zeit hat.

    Ein Auslagern der Dienste, z. B. an eine Firma, wäre wohl nicht möglich?

  • Man kann die Dienste aber wohl verkaufen wenn man keinen Bock hat. Munckelt man.

    Kann man wohl; sich frei kaufen. Hier gibt es eine Art Ärztemafia, viele aus dem osteuropäischen Raum, die nichts anderes machen als ÄND/ÄBD. Einigen dieser Ärzte fährt man die ganze Nacht hinterher. Wie bei Hänsel und Gretel liegen die Brotkrumen, pardon, die Einweisungen und Transportscheine überall rum, die man mit KTW und RTW fleißig aufsammelt. Und irgendwann steht man vor dem (genervten) Hexenhaus, äh, Krankenhaus und Oberschwester Mechthild möchte uns nicht mehr rein lassen...

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.