Telenotarztprojekt im Main-Taunus- und Hochaunuskreis (Hessen)

  • Zwei hessische RD-Bereiche starten ein gemeinsames Telenotarztprojekt.

    Der Main-Taunus-Kreis ist flächenmäßig der kleinste Landkreis in - D - und liegt zwischen Frankfurt und Wiesbaden. Er hat 240.000 EW.

    Der Hochtaunuskreis liegt nördlich von Frankfurt und hat 237.000 EW.


    https://www.mtk.org/Aus-dem-Re…f3gL8-X_xLNTnydVVQLfr89PI

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Angesehen von der Frage ob ein TNA Sinn macht oder nicht macht er gewiss schon mal gar keinen Sinn bei 500.000 Einwohnern.

  • Warum nicht?

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Ich frage mich, welche Ärzte diese ganzen Telenotarzt-Stellen besetzen sollen, die überall nun aus den Boden sprießen? Ärzte gibt es doch genau so wenige, wie es NotSan, Krankenschwestern und Hebammen zu wenige gibt. Mal abgesehen von dem Sinn eines virtuellen Notarztes, sowie ob dieser als Telearzt (ohne -not-) im Ärztlichen Notdienst nicht besser aufgehoben wäre; aber woher sollen diese Ärzte kommen? Denn NEF´s werden dadurch bisher auch nicht eingespart, was bedeutet, dass es zusätzliche Belastungen sind, die durch (weitere) Notärzte erfüllt werden müssen. Oder wurden irgendwo bereits NEF eingestampft, seit dem es dort einen Telenotarzt gibt?

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Eingestampft können NEFs zwar prinzipiell schon, ist aber zumeist politisch nicht gewollt (und würde auch recht lange dauern bei entsprechender Etablierungsphase).

    Hingegen konnte gut gezeigt werden, dass verhindert werden kann, dass bei entsprechender Steigerung der Einsatzzahlen neue NEFs aufgemacht werden müssen.

    Aber, unabhängig davon, dass ich glaube, dass die Rechnung hinterher aufgeht, die hoch qualifizierten Telenotärzte müssen trotzdem erstmal irgendwoher kommen.. sicher in der Fläche nicht einfach.

  • Angesehen von der Frage ob ein TNA Sinn macht oder nicht macht er gewiss schon mal gar keinen Sinn bei 500.000 Einwohnern.

    Ich verstehe deine Abneigung gegen dieses System einfach nicht. Meine Kommilitonen aus dem Raum Aachen sind, auch als engagierte NFS, sehr überzeugt von dem System.

    Ein O-Ton:" Wertschätzende und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem TNA!"


    Da hab ich eher was gegen den NA, der nichts macht und keine praktischen Erfahrungen mit den nicht alltäglichen Skills hat. Dank des Mangels an NÄ ist das schlimmer den je.

  • Und ich verstehe weiterhin nicht, warum man in D das Rad mal wieder neu erfinden muss und eine hochtechnische Lösung schafft für Massnahmen, die in anderen Ländern problemlos vom RFP eigenständig durchgeführt werden.

    Für Fälle, in denen diese „Grundkompetenz“ des RFPs nicht ausreicht, reicht meines Erachtens auch der Tele-NA nicht, weil ich dann Skills vor Ort brauche.

    Würde man das Geld in Weiterqualifikation des RFPs investieren… Aber altes Thema…

  • Ja, altes Thema. Und da bleibt ein großer Unterschied zu anderen Systemen:

    Jahrelanger Aufbau. Wir haben einen stetigen Fortschritt im Kompetenzlevel, allerdings nicht wie die von dir angesprochenen Systeme (ich interpretiere jetzt einfach mal: RS CH, Paramedic UK etc.)

    Wir hatten Handauflegen und zuletzt Kompetenzprüfung. Und auch bei der Prüfung SEHR unterschiedlich, selbst innerhalb des Bundeslandes....

    Solange wir bei einem Apoplex oder einer Hypertension noch einen NA entsenden, sind wir von diesen Ländern sehr weit weg. Und da kann dann besser ein TNA helfen, den ich auf Bedarf anrufen kann (wenn ich ihn denn wirklich benötige).


    Aber ja, lassen wir das. 😉

  • Ich bin sehr gespannt, wann endlich damit aufhört wird zu versuchen, die alte Welt, die bereits bewiesen hat, dass sie mit den heutigen und zukünftigen Herausforderungen nicht mithalten kann, unter dem Deckmantel der Digitalisierung als den "heissen Scheiss" zu verkaufen.


    Das "System Medizin" basiert hierarchisch ausnahmslos auf den Prinzipien des Taylorismus.

    Es kann daher niemals mit der kontinuierlich wachsenden Komplexität der Welt, den Märkten, etc. mithalten.

    Der "Telenotarzt" existiert seit mehr als 50 Jahren (s. "Notruf California") und ist Teil dieses veralteten System, egal ob er jetzt digital daherkommt.


    Es braucht eine grundlegende Redefinition der Systemstrukturen.

    Nur dann wird man in der Lage sein, die Produktivität in dem Masse zu steigern, dass die Herausforderungen halbwegs in den Griff bekommen werden können.


    Hier spielen Themen wie Selbstorganisation, Verantwortungsübernahme, Entscheidungskompetenz, Meisterschaft (Mastery), etc. eine wesentliche Rolle.

    Ob ein System, welches mir die Verantwortung abnimmt oder mich vom Erlangen von Meisterschaft abhält, zuträglich ist, sei einmal dahin gestellt.


    Persönlich bin ich davon überzeugt, dass es nur die Mittelmässigkeit zementiert.



  • Rene P. Beides. Und das wollen auch die TNAs.

    Kein TNA will für eine Transportverweigerung oder banale Analgesie, Hypertonie oder ähnliches angerufen werden. RFP sollte so eigenständig und damit bitte auch kompetent wie möglich arbeiten. Und für alle Rückfragen, Ergänzungen und Sonderfälle sollte es den TNA geben.

    Und dann braucht es plötzlich auch gar nicht so viele TNAs, denn die müssen ja nicht wie beim NEF lokal/regional zugeordnet sein. Und davon profitieren dann wieder die NAs, denn die müssen nicht mehr so oft raus und vor allem big mehr zu so viel Unsinn.

    Und auch den NA oder der GemeindeNotSan/Pflege kann mit dem TNA Rücksprache halten, was wieder andere Ressourcen frei hält.

    Win-Win-Win...

  • Falsch. Zumindest was den TNA angeht. Denn du attributierst ihm eine falsche Funktion und Aufgabe zu. Er ist ein ergänzendes Element (auch wenn das Teil we eine anders gelebt wird).

  • Falsch. Zumindest was den TNA angeht. Denn du attributierst ihm eine falsche Funktion und Aufgabe zu. Er ist ein ergänzendes Element (auch wenn das Teil we eine anders gelebt wird).

    und dieses anders gelebt ist halt das, was man in den meisten Publikationen sieht und wie es m.E. in vielen Fällen auch gedacht ist:

    Tele-NA für jede „0815-ärztliche“ Massnahme („spritz mal 2 mg Morphin…“), sogar bis zum Eintreffen des eh alarmierten NA, ja den NotSan nicht eigenständig denken und arbeiten lassen.
    Und als „Telefonjoker“ für die wenigen Ausnahmefälle, in denen weder NotSan noch NA weiterwissen stelle ich mir halt die Frage, ob wir uns das leisten können und wollen und ob das Geld nicht anderweitig besser investiert wäre. Weil auch der Tele-NA kann nicht hellsehen, hat kein Labor usw.
    Und PS: wenn schon, würde ich mir gerade für Transportverweigerung, „Zwangseinweisung“, die „Vor-Ort-Behandlung“ etc. oft einen (Tele-)NA wünschen. Weil genau das sind doch oft präklinisch die schwierigen Fälle. „Vitalfunktionsmechanik“ und „Transportfähigkeit“ bekommt das RFP in den meisten Fällen gut selber hin 😉

  • Wir haben keinen Telenotarzt in beschriebenen Sinne. Jedoch können wir jedes EKG bei STEMI-Verdacht zum Transportziel telemetrieren und dann telefonisch wegen der Gabe von Heparin und Brillique (nicht meine Kompetenz) nachfragen.
    Gelegentlich nutze ich den Giftnotruf bei Mischintoxen oder exotischen Vergiftungen.
    Mehr braucht es m. E. nicht.

  • Falsch. Zumindest was den TNA angeht. Denn du attributierst ihm eine falsche Funktion und Aufgabe zu.

    Ich attributiere dem TNA die Funktion und Aufgaben zu, welche ich live erlebt und in den einschlägigen Papern zu dem Thema gelesen habe.

    Mehr nicht. Der TNA spiegelt daher keine zusätzliche Funktion wider, sondern eine klassische Substitution bzw. Augmentation im besten Fall.


    Und um es klar zu stellen: Telemedizin macht Sinn. Grossen sogar. Auch in der Präklinik.

  • Als jemand der die ersten Projekte ja auch etwas mitbegleitet hat und andere, ähnliche, Projekte aus anderen Ländern kennt:


    Es ist halt eine Frage des Systemdesigns und der eigenen Denke.

    Und da verstehe ich beide Seiten absolut.


    Wir haben in Deutschland ein System, in dem viele viele Jahre wenige, oft sogar gar keine, Maßnahmen durch das ärztliche Personal geduldet wurden und auch die "Öffnung" im Rahmen des NotSan Systems wird sowohl auf Ebene der Verbände als auch regional/lokal mitunter bis auf das Blut bekämpft. (Und da schaue ich nicht nur nach Bayern, dort schaut es tatsächlich besser aus als der Ruf).

    Im Gespräch mit Vertretern dieser "Ärztefront" wird klar, dass es durchaus reale Bestrebungen gibt, dass man den "Sanitäter" so wieder unter "Aufsicht" stellt (O-Ton eines Vertreters eines Verbandes). Ein ÄLRD(eine mittelgroßen Stadt in NRW) hat mir gegenüber mal folgenden Satz gelassen: "Ich verstehe den Aufwand mit der Delegation und so gar nicht, warum soll ich das machen wenn ich einfach sagen kann, dass jede Medikamentengabe durch den TNA genehmigt werden muss."


    Es gibt hier ganz klar Bestrebungen einiger Bereiche und ÄLRD hier dem NotSan enorm auf die Finger zu schauen.

    Das wird auch aus manchen geplanten oder "angedachten" Indikationslisten für TNAs sichtbar, im Folgenden einmal die offizielle Strukturempfehlung:

    • Hypertensive Entgleisung
    • Schmerztherapie bei nicht lebensbedrohlichen Verletzungen/Erkrankungen
    • Schlaganfall (ohne Bewusstlosigkeit)
    • Hypoglykämie
    • Hilfestellung bei unklaren Notfällen
    • Hilfestellung bei EKG-Interpretation
    • Transportverweigerung
    • Sekundärverlegungen nach definierten Kriterien
    • Zur Überbrückung bis zum Eintreffen des Notarztes grundsätzlich,
    • sofern die Notfallsituation eine Konsultation erlaubt.


    Klipp und klar gesagt: Wenn ich einen NotSan für eine hypertensive Entgleisung, einen Schlaganfall oder eine Hypoglykämie sowie zur Transportverweigerung einen TNA holen lasse kann ich es gleich sein lassen.


    Auch im Aachener Projekt wurde von Seiten der ärztlichen Vertretungen oftmals das primäre Ziel formuliert die regulären NEF weniger zu belasten.

    "Das Ziel des Telenotarztes sei nicht, den Notarzt zu ersetzen, sondern Notarztzeit freizumachen"


    Ich kann daher die Skepsis der Kolleginnen und Kollegen durchaus verstehen.

    Oftmals wird in Sachen Telenotarzt von den verantwortlichen Personen stark mit gespaltener Zunge gesprochen. In Richtung Notärzteschaft spricht man von "Kontrolle behalten" und "NA freihalten". In Sachen Rettungsfachpersonal von "Qualitätssicherung" und "mehr Kompetenzen (pseudo)alleine".


    ABER:


    Natürlich kann ein Telenotarztsystem wie jede Art von "Backup" eine sinnvolle Ergänzung darstellen.

    Um es einmal an einem australischen Beispiel festzumachen:

    Bei meinem australischen Ex-Arbeitgeber sitzen 24/7 die sogenannten "Clinical support paramedics" in der Leitstelle. Es handelt sich hierbei um speziell fortgebildete und langjährige Paramedics (im Regelfall mittlerweile mit einem M.sc.) die einerseits das Einsatzgeschehen "monitoren", andererseits für Rückfragen zur Verfügung stehen (sowohl der Calltaker als auch der Crews auf der Straße).

    Das "Monitoring" sieht so aus, dass der Clinical Support "besondere" Fälle identifiziert und diese ggf. recherchiert. Das kann der Vergiftungsnotfall sein, die Kinderrea (Größenangaben und Medikamentendosierungen) aber auch das orphan disease. Diese Info erhält der Para der "Road crew" entweder per Telefon oder Tablet vorab. Es entbindet nicht vom "selber denken", aber es ist eine Hilfe, ein Support eben - es besteht keinerlei Weisungsbefugnis.


    Umgekehrt kann die Road-crew wenn es sich um eine unklare Situation, einen nicht in den Protokollen definierten Zustand oder auch falls die Maßnahmen der Protokolle nicht ausreichen an den Support wenden und dieser hält entweder Rücksprache mit Spezialisten, holt die notwendige Freigabe ein oder gibt einfach aus seiner Einsatzerfahrung Rat (oft hilft ja schon das "Rubber ducking").


    Nutzt man den TNA so, also als "Backup","Support" und als "Erweiterung" für die seltenen, schwierigen und unklaren Fälle ist er hilfreich und ein unheimlich mächtiges Tool. Aber ich kann die Skepsis vieler NotSans absolut verstehen. Auch wenn ich den Stand im Großraum Aachen durchaus als gut bezeichnen würde - sind es anderswo gerade die repressivsten Ecken des Landes die nun sehr stark danach schreien. (So auch in meinem Bundesland)


    Und wenn dann der TNA als Vorwand genommen wird, das BtmG nicht zu ändern (Blick in Richtung SPD/CDU) um NotSan die Gabe von Analgetika zu ermöglichen, als "Verweigerungshotline" und als "Freigabe für alles einholen". Dann ist das kein Rückschritt sondern berufspolitisch, aber auch im Sinne der Patientenversorgung einfach nur eine Katastrophe.