Ersteinschätzung in der Notfallversorgung: G-BA klagt gegen Ministerium

  • Welche Entscheidungen gibt es denn wegen unterlassener Hilfeleistung?

    Verzeihung, unklare schnelle Formulierung....


    Verfahren sind eher von mir gemeint...Der zutreffende Hinweis auf den zumeist fehlenden Vorsatz hat dann am Ende der ”Verfahren” oftmals nicht zu einer entsprechenden Verurteilung geführt...


    Es gab aber schon ausreichend Meldungen ”in die Richtung”:


    https://www.skverlag.de/rettun…eleistung-verurteilt.html


    Wie die Sache ausgegangen ist, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.


    Oder auch: https://www.skverlag.de/rettun…etung-freigesprochen.html


    Oder auch: https://www.sueddeutsche.de/mu…geldstrafe-folgt-1.931468


    Oder auch: https://www.merkur.de/lokales/…mtliche-kadi-3390388.html


    Oder auch: Körperverletzung durch Unterlassen, BGH 1 StR 130/01 vom 25.04.2001

  • Das Verfahren wurde in zweiter Instanz ohne Verurteilung eingestellt.

  • muss man auch nicht beim Patienten lassen, wenn es denn wenigstens in der Dokumentation des Rettungsdienstes entsprechend aussagekräftig und nachvollziehbar vorhanden wäre, dann wäre es schon völlig ausreichend. Die Offensichtlichkeit der fehlenden Indikation sollte für den externen Dritten (Staatsanwaltschaft z. B.) schon nachvollziehbar dokumentiert sein. WARUM wohl ergehen immer wieder Urteile gegen Rettungskräfte zumeist wegen behaupteter unterlassener Hilfeleistungen, bei denen in der entsprechenden Einsatzdokumentation keinerlei Angaben über Patientenzustand usw. vorhanden sind?

    Ich hätte gerne ein paar Urteile hierzu gesehen. Du kannst bestimmt helfen?


    Edith fragt: ich meine tatsächlich Urteile, rechtskräftig, nicht irgendeinen Pressebericht.

  • Nein, weil unterlassene Hilfeleistung nur vorsätzlich begangen werden kann; das würde also voraussetzen, dass die Besatzung die Notwendigkeit von Versorgung und Transport erkannt hat, aber trotzdem untätig blieb. Das ist ausgesprochen selten.

    Die Frage war rhetorisch gemeint. Mir ist auch klar, dass solche Urteile eine Rarität sind, zumindest strafrechtlich.



    Und im Zweifel rechtlich geboten ...

    Naja. Wenn überhaupt keine Indikation vorliegt, kann auch eine rettungsdienstliche Dokumentation nicht geboten sein. Beispiel: Ein junger Mann stößt sich den Zeh an einem Möbelstück und läuft bei Ankunft des RTW munter in der Wohnung herum, um seine Sachen zu packen in der - freilich irrigen - Annahme, dass ihn dieser RTW in die Klinik fährt. Ich sehe da keinen Grund, irgendeine Dokumentation anzufertigen. Solche Einsätze notiere ich inzwischen oft mit "Fehleinsatz, kein Patient". Und die sind ja bekanntlich inzwischen keine Ausnahmeerscheinung mehr.


    In BaWü gibt es (bis jetzt immer noch, soviel ich weiß) ohnehin keine Legal-Dokumentationspflicht. Und eine vertragliche Nebenpflicht sehe ich nicht, wenn überhaupt keine rettungsdienstliche Indikation vorliegt.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

    Einmal editiert, zuletzt von Captain Joy ()

  • Solche Einsätze notiere ich inzwischen oft mit "Fehleinsatz, kein Patient". Und die sind ja bekanntlich inzwischen keine Ausnahmeerscheinung mehr.

    Ich kenne solche Einsätze auch, dokumentiere diese aber so wie sie auch von mir eingeschätzt wurden. ”Fehleinsatz, kein Patient” ist mindestens unzutreffend, wenn nicht sogar eine Falschangabe. das könnte thh bestimmt besser einordnen....

  • "Patient" kommt von Latein für "Leiden, erdulden". Ein nicht-leidender Taxi-Gast ist also kein Patient. Ich behalte mir dieses Vorgehen allerdings nur vor für wirklich offensichtliche Nicht-Patienten, zum Beispiel die mit mikroskopischen Schnittwunden oder ansonsten gesunde Erwachsene, die mit einem Nasenbluten den Rettungsdienst rufen, das bei Ankunft RTW schon wieder vorbei ist.


    Wenn irgendein halbwegs ernst zu nehmendes Gesundheitsproblem vorliegt, dokumentiere ich das schon kurz. Und ob ich in meinem Protokoll diesbezüglich eine Falschangabe mache, ist mir übrigens egal. Man muss ja vielleicht nicht jeden Quatsch mitmachen.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • https://www.aerzteblatt.de/nac…A-klagt-gegen-Ministerium


    Da freut man sich doch gleich um bundesweit einheitliche Vorgaben für den Rettungsdienst durch den Massenanfall von Experten im G-BA

    Das ist eine völlig unangemessene Kritik am G-BA in dieser Sache und bevor ein Massenanfall an Rettungsdienstlern einstimmt, ein kurzer Abriss, worum es überhaupt geht.


    Der G-BA hatte vom Gesundheitsministerium (noch von der Großen Koalition) den Auftrag bekommen, ein standardisiertes Einschätzungsverfahren in den Notaufnahmen zu beschließen. Dieser Beschluss wurde im Juli diesen Jahres mit den Stimmen der GKV und der KBV, unter Enthaltung der Patientenvertretung sowie gegen die Stimmen der DKG gefasst.

    Der Beschluss beinhaltet nicht nur die reine Triage der Patienten, sondern auch, wie danach weiter mit ihnen zu verfahren ist und letztlich auch die Vergütung und andere Dinge.


    Das jetzige Gesundheitsministerium als Aufsicht führende Behörde hat nun aber 2 Tage (!) vor Ablauf seiner Einspruchsfrist eben diesen Einspruch eingelegt. Das BGM bemängelt zum Beispiel eine Differenzierung in drei Dringlichkeitsgruppen, für die es bisher keine validierten Verfahren gäbe. Auch deren Vergütung sei daher unklar. Es werden weitere Kritikpunkte aufgezählt.


    Die Folge davon ist, dass der Beschluss damit nicht im nächsten Jahr in Kraft treten kann, und es damit beim Status quo bliebe. Gegen diesen Einspruch hat der G-BA nun Klage eingereicht.


    Ob der primäre Beschluss des G-BA sehr sinnvoll ausformuliert wurde, kann ich nicht beurteilen. Eine spöttische Kritik, gegen den Einspruch zu klagen, halte ich aber für unangemessen, vor allem, weil er mit dem Rettungsdienst erst einmal überhaupt nichts zu tun hat.


    Wenn man die verlinkten Artikel in der hier aufgeführten Reihenfolge liest, kann man sich ein vernünftiges Bild von der Sache machen:


    - G-BA beschließt Verfahren zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen (aerzteblatt.de)

    - Gesundheitsministerium beanstandet G-BA-Richtlinie zur... (aerzteblatt.de)

    - Ersteinschätzungsverfahren: G-BA will gegen... (aerzteblatt.de)

    - Ersteinschätzung in der Notfallversorgung: G-BA klagt gegen... (aerzteblatt.de)


    […] „Der Rettungsdienst ist keine Behandlungsebene, sondern lediglich ein Instrument, um Patientinnen und Pa­tienten zur ärztlichen Behandlung zu bringen. Wenn 50 Prozent der Patientinnen und Patienten, die mit dem Rettungsdienst in die Notaufnahme kommen, diese wieder zu Fuß und ohne lebensbedrohliche Symptome ver­lassen können, wird klar, dass auch hier eine standardisierte und strukturierte fachliche Sicht geboten ist“, so Hecken.[…]


    Wenn schon der unabhängige Vorsitzende des G-BA offensichtlich über so tiefgreifende Kenntnisse der Aufgaben der Notfallrettung verfügt....


    Hol- und Bringedienste waren und sind nach meinem Verständnis doch eigentlich eher für klinikinterne Zwecke zuständig:

    Es ist nun einmal so, dass der RD aktuell als reine Transportleistung im SGB aufgeführt wird, und es zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die aktuelle Rechtslage war und ist. Das gilt unabhängig davon, ob das SGB demnächst geändert wird oder in der Realität der RD Patienten ambulant ohne Arztkontakt versorgt.

    Und wenn in der Tat der RD "jeden" Patienten ins KH bringt und viele davon nach kurzer Behandlung wieder entlassen werden, dann ist es schon korrekt, dass auch die Patienten des RD standardisiert triagiert werden müssen.

  • Oder auch: Körperverletzung durch Unterlassen, BGH 1 StR 130/01 vom 25.04.2001

    Hm.

    Zitat von BGH, Beschluss vom 25.04.2001 - 1 StR 130/01

    Dem Angeklagten lag zur Last, er sei während eines gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. durchgeführten Einsatzes als Rettungssanitäter nicht eingeschritten, als der Mitangeklagte den Geschädigten B. durch einen Fußtritt sowie mehrere Faustschläge in den Bauch so verletzte, daß dieser später im Krankenhaus an Einrissen im Dünndarm verstarb. Damit habe er sich der Körperverletzung durch Unterlassen schuldig gemacht; die Todesfolge wurde ihm nicht zugerechnet.

    Das scheint mir jetzt schon ein etwas anderer Sachverhalt zu sein als das, worüber wir hier sprachen. :S

  • Wenn das diese Ersteischätzungs-Richtlinie ist, zu der ich hier schonmal gepostet hatte, dann wäre es auf der anderen Seite aber interessant, dass dort dann aber für die Ersteinschätzung Notfallsanitäter als gleichwertig geeignet erachtet werden wie Notfall-Fachpflegekräfte.

  • Wenn das diese Ersteischätzungs-Richtlinie ist, zu der ich hier schonmal gepostet hatte, dann wäre es auf der anderen Seite aber interessant, dass dort dann aber für die Ersteinschätzung Notfallsanitäter als gleichwertig geeignet erachtet werden wie Notfall-Fachpflegekräfte.

    Ja, genau, das ist der Beschluss. Ich hatte dazu ja Ähnliches geschrieben, dass der NFS dann rechtssicher Patienten ambulant laufen lassen könnte. Entscheidend dabei ist halt, dass ein validiertes Triage-Instrument zum Einsatz käme. Mir wäre nicht bekannt, dass das irgendwo, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, bereits so wäre.

  • Vor allem sucht der GBA nach Möglichkeiten Pfründe zu sichern, da nimmt man gern jedes Argument zurate.

    Was für Pfründe sollen da gesichert werden? Der G-BA hat den gesetzlichen Auftrag, sich um die Ausgestaltung der Versorgung der GK-Versicherten zu kümmern und diese festzulegen. Wenn er vom BGM beauftragt wird, die Schnittstelle ambulante und stationäre Notfallversorgung zu reglementieren, kommt er genau der Aufgabe nach, wofür er da ist.

  • Beispiel: Ein junger Mann stößt sich den Zeh an einem Möbelstück und läuft bei Ankunft des RTW munter in der Wohnung herum, um seine Sachen zu packen in der - freilich irrigen - Annahme, dass ihn dieser RTW in die Klinik fährt. Ich sehe da keinen Grund, irgendeine Dokumentation anzufertigen.

    Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ordnet diesen jungen Mann eindeutig als Patienten wie folgt ein:


    […]

    Ein medizinischer Notfall liegt vor, wenn der Patient körperliche oder psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufweist, für die der Patient selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachtet.1 Notfallversorgung kann als unverzügliche medizinische und pflegerische Versorgung von Menschen in lebensbedrohlichen Notsituationen sowie von Patienten mit einem Behandlungsbedarf, der subjektiv als dringlich notwendig erachtet wird, beschrieben werden.2 Diese Arbeit gibt einen Überblick über die zuständigen Institutionen, deren Aufgaben sowie die Organisation und Finanzierung der Notfallversorgung in Deutschland.

    In Deutschland findet die Notfallversorgung grundsätzlich auf drei Ebenen statt. Patienten können sich beim Vorliegen eines subjektiven Notfalls nach eigenem Ermessen entweder an einen niedergelassenen Arzt, die Notaufnahme im Krankenhaus oder den Rettungsdienst wenden. […]


    Quelle: https://www.bundestag.de/resou…/WD-9-042-22-pdf-data.pdf


    Anmerkung: Die Beschreibung gefällt mir so zwar auch nicht, ist aber so in der ”Welt”.... Somit trifft man immer auf Patientinnen oder Patienten, die Frage ist halt nur, ob die subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen auch objektiv (gemessen) zutreffend sein können.

  • Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ordnet diesen jungen Mann eindeutig als Patienten wie folgt ein:

    Und was willst Du jetzt damit sagen?

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Der Wissenschaftliche Dienst führt als Quelle eine Stellungnahme der DGINA an, welche die oben genannte Definition als nationale und internationale Übereinkunft angibt. (DGINA_Stellungnahme_GVWG (bundesgesundheitsministerium.de)

    Dabei ist der Text selbst uneindeutig, weil er zwischen der Definition eines medizinisches Notfalles und der eines Notfall-Patienten wechselt.

    Die internationale Übereinkunft selbst habe ich auch nach längerer Suche nicht gefunden, lediglich ein Thesenblatt, auf welches immer wieder verwiesen wird: Fünf Thesen zur Weiterentwicklung der Notfallmedizin in Deutschland, Österreich und der Schweiz | springermedizin.de


    Zusammenfassend stützt sich die zitierte Definition lediglich auf die Übereinkunft der deutschsprachigen Notfall-Fachgesellschaften (zumindest ist das mein Eindruck) und ist als Grundlage damit äußerst dünn. Auch vor dem Hintergrund, dass die DGINA-Stellungnahme eine Replik auf das laufende Gesetzgebungsverfahren ist, bei dem gerade festgelegt werden soll, was unter einem medizinischen Notfall (-Patienten) zu verstehen ist.


    Dagegen findet sich in den meisten Rettungsdienstgesetzen der Länder eine gesetzliche Definition, welche in ähnlicher Weise meist wie folgt formuliert ist:

    Zitat

    Notfallpatienten sind Verletzte oder Kranke, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich die erforderliche medizinische Versorgung erhalten.

    aus Rheinland-Pfalz - § 2 RettDG | Landesnorm Rheinland-Pfalz | Aufgaben | § 2 - Aufgaben | gültig ab: 01.04.2020 (rlp.de)


    Ähnliche Definitionen finden sich in klinischen Wörterbüchern wie zum Beispiel dem Pschyrembel: Pschyrembel Online | notfall. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch Brammen et al. im Qualitätsmonitor 2020: Evalution der Notfallversorgung - Welche Daten werden gebraucht? (qualitatsmonitor-2020-11-evaluation-der-notfallversorgung-welche-daten-werd.pdf ab Seite 173 unten).


    Von daher würde ich eher zurückhaltend sein, wer oder was unter die Kategorie medizinischer Notfall oder Notfall-Patient fällt, da es hierzu keine richtige, allgemeine gesetzliche Definition gibt.


  • Die Argumentationskette erinnert mich jedenfalls an „Wir fahren den kerngesunden Patienten mit Sondersignal ins Krankenhaus, weil wir als RTW alarmiert wurden!“.

    Und wird dort direkt operiert, weil er ja mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren wurde.

  • Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ordnet diesen jungen Mann eindeutig als Patienten wie folgt ein:


    […]

    Ein medizinischer Notfall liegt vor, wenn der Patient körperliche oder psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufweist, für die der Patient selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachtet.1

    Was für ein Unsinn. Ob ein medizinischer Notfall vorliegt, ist eine objektive, keine subjektive Frage. Aber es passt natürlich in die heutige Zeit: ich fühle mich, ganz selbstbestimmt, als Notfall, also bin ich natürlich auch ein Notfall. Wer sollte denn besser wissen als ich selbst, was mit mir ist? Konsequent.


  • Du lässt dabei etwas weg. Das jetzige Ministerium hatte dem GBA mitgeteilt, eben keine Einschätzungsverfahren festzulegen, da das im rahmen der anstehenden gesetzlichen Veränderungen Thema wird. Darauf wollte der GBA aber nicht warten, vor allem wollten wohl die Niedergelassenen nicht warten. Denn wenn man selbst was festlegt hat man mehr Steuerungsmöglichkeiten...

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • zu 1: befähigen? Hat man das nicht schon in der Ausbildung erlernt?

    zu 2: statt ein nicht validiertes Tool einzuführen - Steht am Anfang eines validierten Tools nicht immer die Erprobung?


    https://smed.zi.de/wp-content/…-InfoFolien_Allgemein.pdf

    1. na anscheinend nicht, wenn in deinem Gefilde das regelmäßig nicht passiert? Wenn es nur eine Frage der Lust ist, kann man da ja korrigierend eingreifen.


    2. deine Folien legen etwas nicht ganz offen:


    aQua & in4medicine gründen eine GmbH, welche in der Schweiz SMASS vertreibt. Aus SMASS entsteht SmED.

    aQua soll für ZI nun den Nutzen von SmED in Deutschland prüfen. Sollte SmED eingeführt werden profitiert wer? Richtig, aQua. Das SmED bereits für 116117 eingesetzt wird ohne validieren halte ich für einigermaßen erschreckend. Das SmED Chat-Tool ist leider (stand Februar 23) ebenfalls noch fehlerhaft.


    Übrigens spricht die RKiSH von einem "validierten System", was meiner Kenntnis nach keines falls zutrifft.


    Johannes D. : hoffe mein erster Beitrag ist besser verständlich.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Ein kleiner Einwurf zu SmED: Man kann das System auf der Website des kassenärztlichen Notdienstes online "ausprobieren":
    https://www.116117.de/de/patienten-navi.php


    Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, einen aktuellen Fall aus meinem Rettungsdienstalltag durchzuklicken:
    Mann Ende 40, seit zwei Tagen unspezifische, eher drückende Kopfschmerzen und Unwohlsein. Behandlung mit allem, was die Hausapotheke hergab (ASS, Ibu, PCM) brachte mäßige, kurzfristige Linderung. Am dritten Tag plötzliche Änderung der Schmerzcharakteristik: Nun stärkster, nie dagewesener Vernichtungskopfschmerz holocephal, einmal erbrochen, danach "will meine Ruhe, will schlafen". Risikofaktor Rauchen, keine Dauermedikation, keine bekannten Vorerkrankungen, Vater früh an Gehirnblutung verstorben.
    Ich denke, die (Verdachts-)Diagnose dürfte jedem klar sein. Die Frau rief den Rettungsdienst, der Patient wurde bei zunehmender Vigilanzminderung noch vor Ort intubiert und per RTH in eine Stroke Unit mit Neurochirurgie gebracht, Outcome leider infaust.
    Gebe ich nun den Fall wahrheitsgemäß in den SmED-Dialog ein, lande ich stets entweder bei "ärztlicher Vorstellung innerhalb von 24h" oder zumindest manchmal bei "schnellstmöglicher ärztlicher Behandlung", hier jedoch auch mit der Empfehlung die 116117 und nicht etwa die 112 zu rufen.
    Je nach Antworten kamen dann auch unzählige Distraktoren wie "könnte eine Lebensmittelvergiftung vorliegen" (jo mei, kann schon sein...) oder "waren sie im Ausland?" (ja). Familienanamnese wurde nie abgefragt.
    Ich denke die drei Antworten, die das System auf die falsche Spur brachten waren:
    1. Die Situation wurde von Patient wie Ehefrau zwar als höchst unangenehm und kaum auszuhalten, aber nicht als akut lebensbedrohlich eingeschätzt.
    2. Die seit zwei Tagen bestehenden Kopfschmerzen (a.e. hypertensiv bedingt) lenken von der plötzlichen (rupturbedingten) Veränderung des Schmerzcharakters ab.
    3. Die zunächst mäßige Besserung auf Analgetika aus der Hausapotheke.
    Dies mag jetzt ein Extrembeispiel oder ein statistischer Ausrutscher gewesen sein (in einer Musestunde werde ich noch weitere Fälle durchspielen), bestätigt mich in meiner eher ablehnenden Meinung zur zunehmenden Algorithmisierung des Gesundheitswesens. Ich habe vor meinem inneren Auge jetzt eine ganz spezifische MTS-Triagekraft und auch einige Leitstellendisponenten, die diesem Patienten ebenfalls die dringende Hilfe versagt hätten - weil der Computer es so vorgibt. Und ich habe auch (v.a. junge) Kollegen vor Augen, die nur noch nach Algorithmen handeln - weil sich ihr gesamtes Lernen entlang dieser Algorithmen entlanghangelte und sie gar nicht wissen, was es links und rechts davon noch gibt und vor allem, weil Abweichen von Algorithmen in Form von Stellungnahmen sanktioniert wird.
    Und irgendwann, wenn das ganze flächendeckend etabliert ist, wird jemand die Frage stellen: Wozu brauchen wir am Tiragetresen, in der ILS, im Rettungsdienst noch teures Fachpersonal, wir haben doch unsere Algorithmen, die statistischen Auswertungen zufolge zu 99,8% eingehalten werden...