Schikane und Stress: Retter gehen auf dem Zahnfleisch

  • Ich habe kürzlich auf meiner (Haupt)Arbeit einen Notfall mit einem Flugzeug gehabt. Die ganze Situation hat eine starke körperliche Reaktion bei mir verursacht, die mir neu war. Direkt nach dem Vorfall wurde ich sofort und ganz selbstverständlich von einem Kollegen, der eigentlich Pause hatte, abgelöst. Ich bekam CISM (Critical Incident Stress Management) angeboten und habe das dankend angenommen. Zu dem Zeitpunkt hat der Schichtführer bereits dafür gesorgt, dass ich am selben Tag nicht mehr eingesetzt werde und mir somit den Rücken frei gehalten. Ich hatte die Möglichkeit, nicht nur mit dem CISM-Berater, sondern auch mit den am Vorfall beteiligten Kollegen den Vorfall in Ruhe aufzuarbeiten. Auch die haben CISM angeboten bekommen und bekamen - ohne das etwas gesagt werden musste - erstmal eine Stunde Pause, um sich zu sammeln. Auch sie hätten, wenn sie es gewünscht hätten, den Rest des Tages frei bekommen können.


    Noch am selben Tag haben sich mehrere Kollegen gemeldet und ein offenes Ohr angeboten. Hätte ich am darauffolgenden Tag noch Probleme gehabt, hätte ich auch da ohne jegliche Vorwürfe erwarten zu müssen, frei machen können oder ein erneutes Gespräch mit dem CISM Berater machen können, der für mich 24/7 erreichbar ist.
    Sowohl ich, als auch meine Freundin bekamen zwei unterschiedliche Hinweis-Zettel ausgehändigt, auf dem in Stichworten beschrieben ist, was dem Betroffenen (mir) gut tut, was auf gar keinen Fall gemacht werden soll (Alkohol) und an wen man sich wenden kann.


    Aufgrund dieses Netzes, in das ich gefallen bin, war ich am nächsten Tag wieder ausgeruht und mental frei im Dienst. Faktisch habe ich nur drei Stunden "gefehlt". Bevor es dieses System gab, waren die Fluglotsen nach einem Vorfall i.d.R. für den Rest ihrer Arbeitswoche krank. Von den langfristigen Folgen ganz zu schweigen.


    Warum ich das alles schreibe? Es braucht im medizinischen Sektor ein Selbstverständnis für ein solches Konzept. Meine Firma hat sich vor vielen Jahren, als das Konzept auf Druck der Gewerkschaft eingeführt wurde, aufgrund von Kostendruck und vermeidlicher Personalengpässe stark dagegen gewehrt. Inzwischen sind sie selber ganz großer Fan, weil die Ausfallzeiten ihrer Mitarbeiter nach Vorfällen drastisch zurück gegangen. Es hat sich am Ende finanziell sogar gelohnt, es wird aufgrund geringerer Krankheitszahlen sogar weniger Personal benötigt, das Personal wird langfristig deutlich weniger untauglich und arbeitet im Schnitt länger. Gleich Erkenntnisse gibt aus dem Bereich des Cockpits.



    Ich kann es nicht verstehen, warum, obwohl diese Erkenntnisse vorhanden sind, sowas im Rettungsdienst noch so selten zu finden ist. In meinem Rettungsdienst bereich habe ich vor meinem Ausstieg sogar das Gefühl gehabt, dass es schlechter geworden ist. Als ich 2007 angefangen habe, war es ganz selbstverständlich, dass man nach einem krassen Einsatz sein Auto mal für eine Weile abmelden konnte. Die Kollegen sind dann eingesprungen, haben die Einsätze übernommen, es gab keinen, der gemeckert hat.


    In einem anderen Thread (wo es um die Möglichkeit der Transportverweigerung durch RfP geht) haben ich und andere über das Selbstverständis geschrieben, das man als Sani hat oder haben sollte. Auch ein so weiches Netz, wie ich es in meinem Job habe, sorgt dafür, dass ein Beruf attraktiver wird, die Leute länger im Job bleiben, zufriedener und damit gesünder sind. Das ist eigentlich alles kein Hexenwerk.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Moin.
    Danke Hauke, schön wie es funktionieren könnte....
    Bei einer erfolglosen Baby-Rea diese Woche (Montag der erste Einsatz)wollte ich im Anschluß dann telefonisch die RTW Besatzung rausnehmen, später auch mich und den NA.
    Zuerst Zustimmung bei der LST, keine halbe Stunde später hörte ich den RTW am Funk. Sicherlich haben die sich bequatschen lassen nach dem Motto "RTW Mangel ihr müsst" Und mir als NEF wurde auch schnell vermittelt, "heute ist ein NEF in der Stadt nicht besetzt,geht nicht"


    Kein Wunder das keiner mehr Bock hat auf "diesen" Rettungsdienst. :-(


    Grüße Dani

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • Warum so etwas nicht eingeführt wird?
    Im schlechtesten Fall sehen die Verantwortlichen die Notwendigkeit nicht. In den meisten Fällen sehen sie nur dass es kurzfristig Geld kostet, während die langfristige Ersparnis ignoriert wird.


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  • Zitat

    Und mir als NEF wurde auch schnell vermittelt, "heute ist ein NEF in der Stadt nicht besetzt,geht nicht"


    Das ist ja auch durchaus ein Argument. Auch Haukes Arbeitgeber würde vermutlich nicht mal eben einen Sektor für den Flugverkehr schließen.


    Nur: es geht ja nicht darum, ein NEF abzumelden, sondern das Personal herauszulösen. Das erfordert natürlich, dass ausreichend Personal vorhanden ist. (Was vielleicht eher der Fall wäre, wenn die Vorhaltung niedriger wäre, was wiederum möglicherweise der Fall wäre, wenn man sich stärker auf indizierte Einsätze beschränken würde.)

  • Zitat

    Das ist ja auch durchaus ein Argument. Auch Haukes Arbeitgeber würde vermutlich nicht mal eben einen Sektor für den Flugverkehr schließen.


    Nur: es geht ja nicht darum, ein NEF abzumelden, sondern das Personal herauszulösen. Das erfordert natürlich, dass ausreichend Personal vorhanden ist. (Was vielleicht eher der Fall wäre, wenn die Vorhaltung niedriger wäre, was wiederum möglicherweise der Fall wäre, wenn man sich stärker auf indizierte Einsätze beschränken würde.)

    Da magst du recht haben, aber sonst fahr ich auch sonst wohin, in Nachbarlandkreise oder der Heli kommt zur Kreislaufdys. In die Stadt. Da geht's doch auch...
    Aber ich verstehe wie du das meinst


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    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • Das ist ja auch durchaus ein Argument. Auch Haukes Arbeitgeber würde vermutlich nicht mal eben einen Sektor für den Flugverkehr schließen.


    Nur: es geht ja nicht darum, ein NEF abzumelden, sondern das Personal herauszulösen. Das erfordert natürlich, dass ausreichend Personal vorhanden ist. (Was vielleicht eher der Fall wäre, wenn die Vorhaltung niedriger wäre, was wiederum möglicherweise der Fall wäre, wenn man sich stärker auf indizierte Einsätze beschränken würde.)


    Da liegst du tatsächlich falsch. Wenn aufgrund eines Vorfalls Lotsen nicht mehr eingesetzt werden können, werden Sektoren zusammengelegt, die entsprechenden weniger Kapazität haben. Dadurch muss der Verkehr runtergeregelt werden, was Verspätung und Flugausfälle zur Folge haben kann. Sowas erfahre ich als Betroffener eines Vorfalls aber nicht, damit ich meine Entscheidung frei von solchen Dingen treffen kann. Dann fliegt an dem Tag oder für ein paar Stunden eben weniger. Sowohl meine Schichtleiter, als auch die Chefs „weiter oben“ stehen hinter dieser Entscheidung!

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Da liegst du tatsächlich falsch. Wenn aufgrund eines Vorfalls Lotsen nicht mehr eingesetzt werden können, werden Sektoren zusammengelegt, die entsprechenden weniger Kapazität haben. Dadurch muss der Verkehr runtergeregelt werden, was Verspätung und Flugausfälle zur Folge haben kann. Sowas erfahre ich als Betroffener eines Vorfalls aber nicht, damit ich meine Entscheidung frei von solchen Dingen treffen kann. Dann fliegt an dem Tag oder für ein paar Stunden eben weniger. Sowohl meine Schichtleiter, als auch die Chefs „weiter oben“ stehen hinter dieser Entscheidung!


    Noch als Ergänzung: Die Logik dahinter ist ganz einfach: Sowohl ich als Lotse, als auch die Schichtführer und natürlich auch die Firma werden sich davor hüten, jemanden auf dem Tower oder vor dem Radar einzusetzen, der einen Vorfall hatte und selbst angibt, sich nicht mehr fit zu fühlen. Wenn nämlich dann was passiert, weil ich unkonzentriert bin, blockiere oder einfach völlig von der Rolle bin, werden hinterher sehr viele Menschen die berechtigte Frage stellen, was ich denn da noch zu suchen hatte.


    Ich sehe natürlich ein, dass wir grundsätzlich einen Personalpuffer im Dienst haben sollten, der so etwas im besten Fall ohne Sektorschließung und Delay abfangen kann. Aber auch hier melden sich ja mal Leute vor dem Dienst mal krank. Der Puffer ist ja nicht unendlich. Auf einer Rettungswache hält man natürlich pro RTW nicht einen "Reserve" Sani vor. Aber dann muss man eben einen entsprechenden Bereitschaftsdienst etablieren, der dann innerhalb eines bestimmten Zeitwertes da sein muss. So wäre gewährleistet, dass ein Auto nur für eine bestimmte Zeit außer Dienst geht.

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    • Fred Rogers

  • Auch wenn ich nicht bei Falck oder Response beschäftigt bin, sehe ich diese Umfrage sehr skeptisch. Wenn diese repräsentativ sein sollte, müßte sie flächendeckend und vor allen Dingen länger wie 48h erhoben werden. Zudem sollte ergründet werden, wo die Probleme liegen. Meist ist dies auf Leitungsebene.


    Da Response auch im Auftrag der Region Syddanmark fährt, gelten für sie im Großen und Ganzen auch die gleichen Vorgaben wie für uns Angestellte der Region. Sicherlich ist der ein oder andere Retter, den im Artikel genannten "heftigen Erlebnissen" ausgesetzt. Daher hat die Region vor geraumer Zeit ein Meldetool integriert, wonach JEDER Retter schwere Einsätze (Kinder-Rea, Mord, Suizid, angedrohte oder vollendete Gewalt uns gegenüber) melden kann und sogar muss. Dies dient zur Erfassung der aktuellen Situation, aber auch zur Stütze wenn es um Berufsunfähigkeit o.ä, geht. Selbstverständlich kann man sich nach den Einsätzen raus melden bzw. man wird schon durch den Teamleiter rausgenommen und Ablöse organisiert.
    Meldet man sich krank, kontaktiert man den Teamleiter bzw. ruft er einen an, um den Grund zu erfahren UND was der Arbeitgeber für die Genesung bzw. spätere Gesunderhaltung tun kann. Selten in Deutschland erlebt...


    Vor der Übernahme von Teilen Falcks durch BIOS, haben sich bekanntlich viele Retter entschieden, mit Falck zu ziehen und teilweise 3h Fahrtweg auf sich zu nehmen. Klar, gab ja zur Personalbindung gute Zulagen bzw. für 12h Arbeit Bezahlung für 24h. Diese Regelungen sind vor langer Zeit weggefallen, so dass es weniger attraktiv ist, diesen weiten Weg auf sich zu nehmen. Auch hat die Region gezeigt, dass es anders geht. Viele waren Falck so loyal, dass sie ihr Leben lang mit dem Firmenlogo als Tattoo rumrennen. Es sind die Kollegen, die damals gingen und nun sehr gerne zurück wollen und kaum eine Möglichkeit haben, welche unzufrieden sind. Wir hatten vor kurzem 2 freie Stellen und 68 Bewerbungen (ist das in Deutschland auch so??? ;-).


    Für meinen Teil abschließend: auch wenn es ab und an Kleinigkeiten sind, die mich stören, kann ich mich der Umfrage nicht anschließen und möchte nie wieder in Deutschland arbeiten.

  • Bei einer erfolglosen Baby-Rea diese Woche (Montag der erste Einsatz)wollte ich im Anschluß dann telefonisch die RTW Besatzung rausnehmen, später auch mich und den NA.


    So etwas ähnliches hatte ich mal nach einer Trauma-Rea...
    Wir 2 vom Nef vollkommen blutverschmiert, das ganze Auto gefühlt leer...
    Mitteilung an die Leitstelle: Sind mal kurz Status 6, blutverschmiert und Auto leer.
    Antwort: Das geht für einen Notarzt nicht.

  • Antwort: Das geht für einen Notarzt nicht.

    Doch, dass (muss) gehen. Einfach machen. Die Leitstelle wird die Telefonnummern der Vorgesetzten sicher kennen. Und ihr auch. Das ist das Problem des Vorgesetzen und der Leitstelle, wenn ihr aus technischen, organisatorischen, hygienischen oder persönlichen Gründen (weil schlimmer Einsatz) nicht mehr könnt.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.



  • Ich schaue immer mehr mit einem neidischen Blick auf Deinen Beruf. In Feuerwehr- und Rettungsleitstellen interessiert das keine Sau. Da kann man in Akutsituationen mündliche Überlastungsanzeigen tätigen, die niemanden in der gehobenen und höheren Ebene kümmern. Ich habe vor einigen Jahren den Notruf eines minderjährigen Sohnes eines Kollegen angenommen, der seinen Vater (also meinen Kollegen) erhängt im Keller gefunden hat. Danach war ich fix und fertig. Das habe ich auch kund getan. Aber ich wurde nicht raus genommen. Man soll sich nicht so anstellen. Auch in anderen, nicht persönlich betroffenen Situationen, wäre das durchaus mal angebracht. Es gibt ja sehr oft emotionale Situationen am Telefon, die einen länger am Telefon binden und sehr anstrengend sind. Telefon-Reanimation, Säuglings-Tod, Suizidankündigungen am Telefon ("ich stehe schon am Fenster, ich mache jetzt schluss..."). Muss, muss, muss... Es überrascht mich daher nicht, dass der Kollegenkreis mittlerweile eine Ausfallqoute deutlich über 30% hat. Man meldet sich großzügiger krank, wenn man ständig überlastet ist und dafür dann auch noch beschissene Arbeitsbedingungen und wenig Wertschätzung erfährt. Und ja, wir reden hier vom öffentlichen Dienst. Hier muss noch viel Umdenken passieren. Gerade die Feuerwehr hat das noch nicht kapiert, dass niemand mehr Bock auf einen autoritären Führungsstil hat. Ich fürchte jedoch, dass selbst die HiOrgs, die gerade hier mittlerweile viele Probleme mit zu wenigen Fachkräften haben, dieses auch noch nicht wirklich verstanden haben. Nun ja, fährt das System halt gegen die Wand. Mir mittlerweile auch egal. Bin ja hoffentlich bald weg...

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Wie immer frage ich mich, wie viel man bereit ist zu ertragen, ohne für sich Konsequenzen zu ziehen. Bei manchen Schilderungen hier im Forum oder natürlich auch im privaten Bereich, würde ich da keine zehn Minuten mehr verbringen. Und im Hinblick auf das Stellenangebot ist das noch einfacher geworden.

  • Warum ich das alles schreibe? Es braucht im medizinischen Sektor ein Selbstverständnis für ein solches Konzept.


    Das Problem ist hierbei aber auch das Personal selber - der RD hat ein viel zu geringes "Gefühl" für die eigene Psychohygiene.


    Ich erinnere mich mit Schrecken an einen Vorfall aus meiner RDL Zeit: Ein schwerer VU an dem u.a. ein DRK (Fahrdienst) Fahrzeug beteiligt war, zusätzlich wurde ein Säugling vor Ort reanimiert.
    Als Vorgesetzter habe ich durch Zufall (in der Tat fehlte ein offizielles Konzept) von dem Einsatz mitbekommen und mit einigen der Mitarbeiter gesprochen, u.a. angeboten eine Auslösung zu organisieren bzw. Nachbetreuung bereit zu stellen.
    Die Reaktion war aber anders als erwartet: Weithin gab es Ablehnung jetzt "schon wieder diesen KIT Kram zu haben" bzw. die Nachfrage ob das dann wenigstens bezahlte Überstunden seien. Am Ende passierte genau gar nichts, nur ein junger Mitarbeiter hat mir nachher gestanden das er gerne Nachbetreuung gehabt hätte, sich aber nicht getraut hat "gegen die alten Hasen" zu sprechen bzw. von diesen "erwischt" zu werden. (Und das obwohl die Nachbetreuung komplett getrennt vom RD ist)
    Auch langfristig war nur eine Minderzahl der MitarbeiterInnen bereit hier "mitzuarbeiten".



    Kann natürlich an mir als Führungskraft oder dem Hausklima gelegen haben, aber:
    Von anderen Führungskräften habe ich jede Menge Berichte von durchaus ähnliche Reaktionen erlebt, nicht nur in Akutsituationen (in denen sie ggf. noch nachvollziehbar sind) sondern auch langfristig - das ging bis in Phasen das solche Konzepte am Betriebsrat gescheitert sind.
    Wohlgemerkt reden wir hier von freiwilligen Angeboten, aufgezwungen werden kann nichts.


    Aus meiner Sicht ist das Thema ehrlicher Weise ganz schön verbrannt und muss tatsächlich "von unten" her kommen. Just my two cents.

  • Aus meiner Sicht ist das Thema ehrlicher Weise ganz schön verbrannt und muss tatsächlich "von unten" her kommen. Just my two cents.


    Naja, in Haukes Fall ist einfach klar, dass er den Dienst jetzt nicht einfach so fortsetzt. Auch im Rettungsdienst kann der Vorgesetzte sagen: „Für Dich ist Schluss für heute. Geh nach Hause, sprich mit Deinen Leuten drüber, wenn Du lieber mit wem anderen sprechen willst, melde Dich bei Kollege XY. Entscheide, ob Du morgen den Dienst machen möchtest oder nicht, sei um XY Uhr bei mir im Büro, dann besprechen wir das.“
    Ich sehe nicht nur den MA in der Pflicht das Angebot einzufordern, sondern eigentlich viel mehr AG dieses niederschwellig anzubieten und den ersten Schritt auch für den MA zu machen.
    Wenn wir eine kritische Situationen erlebt haben, wird automatisch die gesamte Crew ausgelöst. Da gibt es gar keine Diskussion.

  • Bei Schutz und Rettung Zürich ist es ebenfalls so, dass man nach belastenden Einsätzen den Dienst beenden kann. Nachsorge wird auch dort auch vorbildlich auf mehreren Ebenen angeboten.

    Alle getätigten Aussagen stellen meine private Meinung dar und stehen in keinem Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit.

  • Von einer aufgezwungenen Auszeit halte ich nichts, vom Angebot eine Menge. Stress und Belastbarkeit sind sehr subjektive Sachen, ich persönlich habe bisher immer gerne weitergemacht um dann nach Schichtende mit etwas Verspätung reflektieren zu können.


    Ich muss aber dazu auch sagen, dass ich von richtig extremen Dingen bisher verschont geblieben bin.
    Ich finde es ist ein schmaler Grat zwischen Angebot und Aufdringen, und die Studienlage sagt, dass eine routinemäßige psychologische Betreuung die Rate an PTBS eventuell sogar erhöht.(https://www.aerzteblatt.de/arc…onen-nach-Traumatisierung)


    Von daher empfinde ich das erzwunge Herauslösen aus dem Dienst und Dinge wie ungewollte telefonische Kontaktaufnahme nicht als wünschenswertes Konzept. Infozettel und ein offenes Klima wie bei Hauke klingen dagegen richtig gut.

  • Das selbe hier in der Ostschweiz im Bereich der IG NORD (Interessengemeinschaft nordostschweizerische Rettungsdienste).
    Von der IG NORD aus besteht ein Peer-System, welches 24/7 für sämtliche Mitarbeiter der teilnehmenden Rettungsdienste bereitsteht.


    Auch eine Auslösung aus dem Dienst wird nach belastenden Einsätzen nicht diskutiert, sondern gelebt.
    Das geht sogar soweit, dass die Disponenten aktiv nachfragen, ob Vorgesetzte informiert werden sollen, damit diese eine Auslösung organisieren, sowie Peers aufgeboten werden können.


    Das ganze wird nicht sehr oft (aber immer mehr) genutzt, aber ich finde es durchaus beruhigend zu wissen, dass wir nach belastenden Einsätzen ohne Diskussion ausgelöst werden können und uns das bestehende System auch in der weiteren Begleitung und Verarbeitung unterstützt.

  • Eine „aufgezwungene“ Krisenintervention kann problematisch sein, dies wurde schon nach der Hillsborough-Katastrophe in Sheffield beschrieben.