Rettung für den Rettungsdienst? – Das Pilotprojekt "Gemeindenotfallsanitäter" zeigt erste Effekte


  • Überlastete Notaufnahmen, Rettungsdienste am Limit: Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen nur noch beschleunigt und nun zeigt sich mehr denn je, welche Baustellen das Gesundheitssystem in Deutschland hat. Im Rettungsdienst könnte der Einsatz von Gemeindenotfallsanitätern eine Verbesserung bringen. Bei dem Pilotprojekt, das es seit einigen Monaten auch in Sachsen-Anhalt gibt, zeichnen sich erste positive Entwicklungen ab. So werden zum Beispiel die vorgegebenen Fahrzeiten öfter eingehalten.


    Quelle: MDR - Rettung für den Rettungsdienst? – Das Pilotprojekt "Gemeindenotfallsanitäter" zeigt erste Effekte

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Der Hanse-Sani ist in Bremen (vor allem auch in der Kombination mit NKTW) ziemlich erfolgreich. Leider sind die Einsatzzahlen für diesen dann aber so hoch, dass sich kein Nachwuchs findet. Gleichzeitig konnte man mit geänderten Notrufabfragen, ärztlichen Hintergrunddienst und mehr Freigaben für die NotSan die Einsatzzahlen für die NEF deutlich drücken (meine um über 30%).

    Do your job right – Treat people right – Give all out effort – Have an all in attitude.

    ~ Mark vonAppen

  • Tja, es wäre "so einfach": gebt dem RD oder der ILS verlässliche Schnittstellen, an die sie den Pat. unkompliziert und kurzfristig weitervermitteln können (Hausarzt, ärztl. Notdienst, Pflegedienst, psychiatrische Notdienste usw.) und wir hätten plötzlich 50% weniger Einsätze. Nachdem es das bei uns alles nicht (mehr) gibt, bleibt leider in den meisten Fällen nur der Weg ins Krankenhaus. Beim letzten Versuch, den Pat. an einen Notfallarzt weiterzuvermitteln wurde mir ein Besuch frühestens am nächsten Abend in Aussicht gestellt (also 24 Stunden später).

    Der Gemeinde-NotSan, Hanse-Sani usw. ist ja auch nur die Reaktion darauf, dass die anderen Player ihren Job nicht (mehr) im nötigen Umfang anbieten. Aber auch der kann seinen Job ja nur machen, weil er die entsprechenden Schnittstellen hat.

  • Beim letzten Versuch, den Pat. an einen Notfallarzt weiterzuvermitteln wurde mir ein Besuch frühestens am nächsten Abend in Aussicht gestellt (also 24 Stunden später).

    Ich komme immer zu der Auffassung, dass es zukünftig so sein wird, dass der bisherige gewohnte Standard nicht aufrecht zu erhalten sein wird, und es für nicht wirklich lebensbedrohliche Zustände einfach längere Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen oder es einfach überhaupt keine Hilfe mehr in unmittelbarer Nähe geben wird. Das Verhältnis zwischen benötigtem und vorhandenen Personal wird sich weiter negativ entwickeln, und das noch deutlich stärker als bisher durch den Renteneintritt der "Babyboomer" in den nächsten 5 bis 10 Jahren.

    Je eher man das akzeptiert und die Standards der Realität anpasst, desto weniger wird man die jetzt Verbliebenen durch nicht erfüllbare Forderungen zusätzlich in die Flucht schlagen.


    In meiner Abteilung gab es allein in den letzten Jahren einen derart großen negativen Saldo an Fachärzten, dass unser bisheriges Dienstmodell bzw. die bisherige Dienstbesetzung eigentlich nicht mehr tarif- oder auch arbeitszeitgesetzkonform umgesetzt werden kann. Statt zu akzeptieren, dass wir weder kurz- noch längerfristig wieder den selben Stand wie vor 15 Jahren an Fachärzten erreichen werden, und die Besetzung entsprechend reduziert, versucht man nun die verbliebenen Mitarbeiter durch Androhung von unattraktiven Dienstzeiten dazu zu bringen, individuelle Opt-out-Vereinbarungen zu unterzeichnen, damit wenigstens das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird. Das wird auf Dauer aber auch keine Lösung sein, weil das weitere Kündigungen oder Arbeitszeitreduzierungen zur Folge haben wird.

  • Der Hanse-Sani ist in Bremen (vor allem auch in der Kombination mit NKTW) ziemlich erfolgreich. Leider sind die Einsatzzahlen für diesen dann aber so hoch, dass sich kein Nachwuchs findet. Gleichzeitig konnte man mit geänderten Notrufabfragen, ärztlichen Hintergrunddienst und mehr Freigaben für die NotSan die Einsatzzahlen für die NEF deutlich drücken (meine um über 30%).

    Problem beim Hansesani und Gemeindenotfallsanitäter ist, dass beide den Rettungsdienst entlasten sollen, das Personal dafür aber aus dem Rettungsdienst kommt und damit doch wieder diesen belastet.

  • Ich komme immer zu der Auffassung, dass es zukünftig so sein wird, dass der bisherige gewohnte Standard nicht aufrecht zu erhalten sein wird, und es für nicht wirklich lebensbedrohliche Zustände einfach längere Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen oder es einfach überhaupt keine Hilfe mehr in unmittelbarer Nähe geben wird.

    In der Notaufnahme kommt man immer schneller als "24 h später" oder gar erst nach Wochen dran. Zumal ja nach Einschätzung der entsprechenden Fachgesellschaft der Patient entscheidet, ob es sich bei ihm um einen Notfall handelt.

  • Zumal ja nach Einschätzung der entsprechenden Fachgesellschaft der Patient entscheidet, ob es sich bei ihm um einen Notfall handelt.

    Ob ein Patient bedarf an Hilfe hat bestimmt der Patient. Wie das System drauf reagiert, das bestimmt das System.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Problem beim Hansesani und Gemeindenotfallsanitäter ist, dass beide den Rettungsdienst entlasten sollen, das Personal dafür aber aus dem Rettungsdienst kommt und damit doch wieder diesen belastet.

    Nicht zwingend, es könnten auch Leute sein, die den Beruf verlassen hätten, gäbe es nicht diese Möglichkeit

  • Ob ein Patient bedarf an Hilfe hat bestimmt der Patient. Wie das System drauf reagiert, das bestimmt das System.

    Das sollte man annehmen, ja. Anderer Auffassung aber u.a. die DGINA:

    Bezüglich der Ersteinschätzung ist dies ein eindeutiger Paradigmenwechsel der Ersteinschätzung im Krankenhaus. Es geht nicht mehr allein um die Festlegung der Behandlungsdringlichkeit, sondern um die Beurteilung der Notwendigkeit einer Behandlung mit den Mitteln des Krankenhauses. Dies kann den berechtigten Interessen der Patientinnen und Patienten, die eine Klinik für Notfallmedizin aufsuchen, durchaus widersprechen. Damit schränkt die Richtlinie die freie Arztwahl, die laut §76 Absatz 1 SGB V im Notfall gilt, insofern ein, als dass nun nicht mehr Patientinnen und Patienten sich als Notfall definieren, sondern als Hilfesuchende bezeichnet werden und erst als Notfall gelten, wenn eine Ersteinschätzung dies festgestellt hat. Dies widerspricht der internationalen und nationalen Definition durch die notfallmedizinischen Fachgesellschaften. Laut dieser liegt ein medizinischer Notfall immer dann vor, wenn „der/die Patient*in körperliche oder psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufweist, für die der/die Patient*in selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachtet“.

    Daraus ergibt sich m.E. die Auffassung der notfallmedizinische Fachgesellschaften, dass der Patient - oder ein beliebiger Dritter entscheidet -, ob ein medizinischer Notfall vorliegt, der eine Versorgung mit den Ressourcen eines Krankenhauses (im Gegensatz zur ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung) erfordert.

  • Das ist ja ein Schluss den du triffst, der nicht dort steht.

    Der Patient soll trotzdem nur jene Hilfe bekommen, die Notwendig ist. Und was Notwendig ist, entscheiden Fachleute.

    Was vermieden werden soll, ist dass man zu frühzeitige etwaige Gatekeeper-Systeme einführt. Insbesondere vor dem Hintergrund der unzureichenden Abdeckung von hausärztlicher Versorgung, würden so Patienten im "Nirvana" landen. (Vermeintlich) nicht krank genug für die ZNA, aber ambulant keine Hilfe in Aussicht.


    Damit liesse man Patienten alleine mit ihren Problemen. Und das benachteiligt besonders jene, welche nicht die Ressourcen (oder mentale Kapazitäten) haben, kreative Lösungen oder Umwege zu finden.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • In der Notaufnahme kommt man immer schneller als "24 h später" oder gar erst nach Wochen dran. Zumal ja nach Einschätzung der entsprechenden Fachgesellschaft der Patient entscheidet, ob es sich bei ihm um einen Notfall handelt.

    Nein, dass wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, weil Krankenhäuser im Zuge der aktuellen Reform überhaupt keine Patienten, die nicht einer akuten Intervention bedürfen, mehr behandeln dürfen bzw. vergütet bekommen.

  • Nein, dass wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, weil Krankenhäuser im Zuge der aktuellen Reform überhaupt keine Patienten, die nicht einer akuten Intervention bedürfen, mehr behandeln dürfen bzw. vergütet bekommen.

    Sie nicht zu behandeln wird unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung oder anderer Unterlassungsdelikte schwierig. Eine Vergütung für die Behandlung ist aus Sicht des Patienten ja optional. :S

  • Nicht zwingend, es könnten auch Leute sein, die den Beruf verlassen hätten, gäbe es nicht diese Möglichkeit

    So viele scheinen es nicht zu sein. Spirou schreibt, dass aufgrund der hohen Einsatzzahlen kein Nachwuchs mehr gefunden wird. Damit ist das Ganze genauso attraktiv, bzw. unattraktiv wie der Regelrettungsdienst. Damit fischen beide im gleichen Personalpool.

  • Sie nicht zu behandeln wird unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung oder anderer Unterlassungsdelikte schwierig. Eine Vergütung für die Behandlung ist aus Sicht des Patienten ja optional. :S

    Sie werden ja behandelt, nur nicht sofort und in der Notaufnahme. Eine sofortige Behandlungs- oder Hilfspflicht gibt es ja auch jetzt schon nicht. Ansonsten könnte jeder jegliche Behandlungen zu jedem Zeitpunkt in einem Krankenhaus einfordern.

  • Sie nicht zu behandeln wird unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Hilfeleistung oder anderer Unterlassungsdelikte schwierig.

    Aber bei Patienten, die keiner akuten Intervention bedürfen, ist das Tatbestandsmerkmal "Not" schwerlich erfüllt. Und andere Unterlassungsdelikte scheitern daran, dass ich einem Patienten gegenüber, der zu mir kommt, zunächst keine Garantenposition inne habe, wenn ich die Behandlung ablehne.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Letztlich wird die Ersteinschätzung erweitert.

    Bislang gab es keine Möglichkeit, Patienten nach der Ersteinschätzung bereits zu sagen "gehen sie in den nächsten Tagen zu ihrem Hausarzt" o.ä.


    Im Sinne der unterlassenen Hilfeleistung muss geprüft werden, ob Hilfe erforderlich ist (jetzt und hier).

    Wenn das nicht der Fall ist, sollte dich eigentlich der Tatbestandunterlassenen Hilfeleistung nicht erfüllt sein.

  • Nein, dass wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, weil Krankenhäuser im Zuge der aktuellen Reform überhaupt keine Patienten, die nicht einer akuten Intervention bedürfen, mehr behandeln dürfen bzw. vergütet bekommen.

    Das dürfte zu spannenden Konflikten zwischen Krankenhaus und Rettungsdienst führen, wenn man unterschiedliche Meinungen über die Behandlungsbedürftigkeit des Patienten hat. Es wird dann ja nur eine Frage derzeit sein, bis die erste Krankenkasse die Erstattung der Transportkosten verweigert.

  • Das dürfte zu spannenden Konflikten zwischen Krankenhaus und Rettungsdienst führen, wenn man unterschiedliche Meinungen über die Behandlungsbedürftigkeit des Patienten hat. Es wird dann ja nur eine Frage derzeit sein, bis die erste Krankenkasse die Erstattung der Transportkosten verweigert.

    Bleibt es bei der aktuellen Regelung, findet die Triage ja erst in der Klinik statt, insofern wäre das Konfliktpotenzial gering.

    Sollte der Rettungsdienst (wäre wünschenswert) bereits eine Triage vornehmen, würde der Patient ja gar nicht transportiert.


    Es müssten ja auch die Rettungsdienstgesetze der Länder geändert werden, damit der Rettungsdienst die Mitfahrt verweigern darf.