Passive Sterbehilfe

  • Dazu kommt dann noch "Tötung durch Unterlassen, wenn ich zum Beispiel einem Patienten die Beatmung verwehre. Wie sieht das denn eigentlich rein rechtlich in diesem Zusammenhang mit der Extubtion aus? Ist das eher aktiv (ich tue ja was, nämlich den Patienten extubieren) oder passiv (ich "verweigere" die Beatmung)?


    Gruß, Mr. Blaulicht

  • @Mr.Blaulicht


    Zum ersten Beispiel: Wenn Du die Beatmung verwehrst, geschieht das ja gegen den Willen des Patienten. Hat also nichts mit Suizid zu tun.


    Zum zweiten Beispiel:: wenn eine Patient im Besitz seiner geistigen Kräfte eine Therapie ablehnt (hier: Beatmung), kann man seinem Wunsch Folge leisten.

  • Weiss Dein Fallbeispielspatient denn genau was eine Intubation ist und welche Folgen sie haben kann (z.B. Langzeitbeatmung über dann angelegtes Tracheostoma) ?


    Ich kann hier nur für mich sprechen: ich hatte eine Intubation/Beatmung per Patientenverfügung abgelehnt, meine Frau war fachkompetent genug, um die Diskussionen mit der bemühten Ärzteschaft durchzustehen und ich habe glücklicherweise keine Aspirationspneumonie bekommen.

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • @Mr. Blaulich
    Wenn eine Patient eine Intubation als Therapieform ablehnt, kann man diesem Wunsch entsprechen. Kommt auch gar nicht so selten vor.

  • Letzte Woche war ich auf einer Fortbildung von Prof. Eisenmenger (wer ihn nicht kennt: einer der rhetorisch begabtesten "postmortalen Klugscheißer"). Unter anderem wurde auch das Thema Reanimationsabbruch etc durchgekaut. Im Fragenteil hat sich dann mal wieder ein RDler besonders positiv hervorgetan:
    " Das Problem sind die Angehörigen, die aus purem Egoismus lieber einen sabbernden Pflegefall bei sich haben anstatt Abschied zu nehmen."


    Wäre er neben mir gesessen, ich glaub ich hätt ich ihn verprügelt.

  • Das ist mir schon klar. Auch bei uns werden Patientenkurven - nach Absprache mit dem Patienten und/oder den Angehörigen - oft mit "keine Rea, keine Intubation" gekennzeichnet.
    Aber meine Frage ist nun: Pat. kommt in die Klinik, die Angehörigen äußern "keine Intubation". Der Patient wird dementsprechend nicht intubiert und bekommt eine Aspirationspneumonie. Im weiteren Verlauf erholt sich der Patient und zeigt die Klinik wegen dieser Nichtintubation an, da es eben nicht seinem Wunsch entsprach. Liegt dann eine Unterlassungstat vor?


    Und meine zweite Frage war: Ein Patient kommt intubiert in die Klinik, wird auf eigenen Wunsch extubiert. Ist dies eine aktive oder eine passive Handlung?


    Zu diesem Thema habe ich eine kleine Geschichte, die mich sehr lang beschäftigt hat:
    Ein ziemlich rüstiger Rentner kam vom Joggen(!) nach Hause, stellte sich unter die Dusche und wurde kurz darauf bewusstlos mit insuffizienter Atmung von seiner Frau aufgefunden, nachdem sie es rumpeln gehört hatte. Sie rief den Notarzt und begann mit der Mund-zu-Mundbeatmung. Der Notarzt brachte den intubierten Patient auf eine neurologische Intensivstation, auf der ich damals ziemlich neu angefangen habe, zu arbeiten. Es war mein erster Patient nach meiner Einarbeitungsphase. Die Untersuchungen ergaben ein Locked-in-Syndrom. Der Patient konnte im Aufwachversuch lediglich die Augen schließen und wieder öffnen, die Atmungsteuerung funktionierte mäßig, aber der Patient bekam mit einer minimalen Druckunterstützung (die eigentlich eher den Atemwegswiderstand kompensierte) ausreichend Luft.
    Im Gespräch mit den Angehörigen stellte sich heraus, dass der Patient eine Patientenverfügung besaß, die die Behandlung bei tödlich verlaufenden Erkrankungen/Verletzungen und bei der Unmöglichkeit der Kommunikation mit der Umwelt verweigerte. Beides war in diesem Fall nicht der Fall. Trotzdem wollten die Angehörigen nicht, dass die Behandlung weitergeführt wird. Da der Patient keine kognitiven Defizite aufwies, entschieden wir uns, den Patient vollständig aufwachen zu lassen, und ihn selbst zu befragen. Er reagierte geschockt auf seine Diagnose, erbat sich etwas Bedenkzeit und teilte uns anschließend mit, dass er gerne sterben würde.
    Daraufhin besprachen wir das geplante Vorgehen mit ihm. Er wurde wieder tief sediert und langsam hypoventiliert, bis der Tod eingetreten ist. Er stimmt dem zu.
    Nach wenigen Stunden war der Patient tot. Ich habe damals sehr lange an dieser Geschichte knabbern müssen und auch viele Gespräche mit Kollegen. Leicht hat sich diese Entscheidung keiner gemacht und alle hatten ein "mulmiges" Gefühl.
    Wie ist diese Situation rechtlich zu bewerten? Meiner Meinung nach war dies eine Tötung auf Verlangen, moralisch absolut aufgrund des Wunsches des Patienten in seiner Situation gerechtfertigt. Aber: Wie sieht´s rechtlich aus?


    Gruß, Mr. Blaulicht

  • @Mr. Blaulicht


    Der Wille von Angehörigen ist nicht alleine maßgeblich. Es kommt auf die Betrachtung des einzelnen Falles an: medizinische, ethische und religiöse Aspekte, sowie der (mutmaßliche) Wille des Patienten und die Wünsche seiner Angehörigen. Deshalb kann man Deine Frage zur "Nicht-Intubation" nicht pauschal beantworten. Genau diese Probleme führen übrigens zur zunehmenden Etablierung von Ethikkommissionen in Krankenhäusern.


    Auch den zweiten Fall kann man nicht pauschal beurteilen. Es kommt auf den Grund der Beatmung, die Erkrankungen und die Prognose an...

  • @Mr. Blaulicht


    Dein Beispiel ist schwierig zu beurteilen, weil es schon sehr lange zurückliegt ud man damit rechnen muß, daß nicht alle Details mehr von damals ausreichend präsent sind. Die von Dir geschilderte Form einer Therapiereduktion ist in dieser Form eher ungewöhnlich und auch nicht nachvollziehbar. Schon der Begriff "langsamen Hypoventilation" läßt man ich an den tatsächlichen Vorgängen von damals zweifeln. Das ist kein persönliches Mißtrauensvotum, aber es ist bekannt, daß wir uns zur eigenen Verständlichkeit Dinge hinzu reimen, damit es in unserer Denke Sinn macht. So ist es zum Beispiel bei reduzierter Therapie üblich, die FiO2 auf 0,21 zu stellen, um die natürliche Umgebungsluft zu imitieren, aber ein Beatmungsgerät bei einem Lebenden auszustellen ist sicherlich fragwürdig. Sowohl ethisch, als auch gesetzlich.

  • @ Ani: Genau das ist ja der Knackpunkt, der mir das Ganze so schwer verdaulich macht. Natürlich habe ich den Fall verkürzt dargestellt, weil tatsächlich nicht mehr alle Details präsent sind. Aber im Großen und Ganzen war es tatsächlich so.


    Naja, näher möchte ich an dieser Stelle auch nicht drauf eingehen - schon allein, weil dies hier ja öffentlich ist...


    Gruß, Mr. Blaulicht

  • Zitat

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die juristische Handhabe für die passive Sterbehilfe erleichtert. Der Abbruch lebenserhaltender Behandlungen ist künftig nicht mehr strafbar, wenn ein Patient dies in einer Verfügung festgelegt hat. Das entschied der 2. Strafsenat in Karlruhe in einem Grundsatzurteil.


    Quelle und ausführlicher Text: http://www.tagesschau.de/inland/bghsterbehilfe102.html

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Da das Thema ähnlich in einem anderen Thread geführt wird, ziehe ich mal dieses uralte Thema hervor und würde mich freuen, wenn die Diskussion darüber hier geführt wird. Gerne mit Verschieben der anderen Beiträge, geht nur von hier gerade nicht so komfortabel.


    Sind "Tipps" zum Suizid schon passive Sterbehilfe, sind sie ein Tabu oder doch hin und wieder mal zu finden?

  • Sind "Tipps" zum Suizid schon passive Sterbehilfe, sind sie ein Tabu oder doch hin und wieder mal zu finden?

    Was meinst Du mit Tipps ? Kommentare von RD-Mitarbeitern,gegenüber dem Patienten,nach der Versorgung eines Suizidversuches? ?-(

    "Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische!" (Karl Valentin)


    "Tue erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche" ( Franz von Assisi)

  • Hier nochmal der Auslöser der Diskussion zum besseren Verständnis:




    Ein anderes Beispiel wäre eine hochbetagte Dame, die sich in ihrem Pflegeheim im Alter von 97 versuchte die Pulsadern mit einem handelsüblichen "Brotschmiermesser" aufzuschneiden. Der Versuch schlug natürlich fehl und die Frau war ehrlich verzweifelt. Wir kamen nicht umhin sie der örtlichen Psychiatrie zuzuführen wobei sie mir immer wieder ihre Situation schilderte. Körperlich und geistig zwar für das Alter erstaunlich gut, allerdings überhaupt kein soziales Umfeld mehr. Ich empfand es in dem Moment als Frechheit einer Frau in ihrer Lage verbal einen Lebenswillen aufdrängen zu sollen und so verabschiedete ich mich von ihr mit einem Tipp bez. ihrer Dauermedikation.

  • Für mich persönlich wären solche Tipps ein absolutes "no-go" - aber dies ist meine persönliche Ansicht und zielt keinesfalls auf den Diskussionsauslöser ab.
    Durch eine recht liberale Gesetzgebung dürfte dies auch nicht nötig sein, auf diesem Gebiet gibt es andere Experten.

  • Es ist immer schwierig ein (Einsatz-)Geschehen im Nachhinein oder aus Erzählungen zu bewerten, besonders wenn man die Person und ggf. auch ihre Arbeitsweise nicht kennt. Ich hab das Glück ihm-al schon mal begegnet zu sein und mich mit ihm länger unterhalten zu haben. Gepaart mit dem was ich so im Forum von ihm lese ist er mMn eine Person mit hoher Ethik und Moral und einem richtig feinen Charakter. Wir sind keine Freunde oder so, aber ich behaupte schon, Kraft eigener Arroganz, ein gewisses Bild von ihm als Mensch zu haben.
    Ich für mich persönlich denke auch, dass ich solch eine Aussage nicht tun würde und wenn sie andere täten hätte ich dabei arge Bauchschmerzen. Da ich ihn aber kenne erscheint sein Handeln für mich in einem anderen Licht, denn diese Tat war sicher wohl reflektiert, gut überlegt und mit Sicherheit nicht leichtfertig daher gesagt, gewürzt mit einer guten Prise Intuition und Empathie. Das sorgt für mich zumindest dafür, dass ich dieses Handeln nicht von vornherein ablehne und akzeptieren kann, was mir sonst, wie erwähnt, sehr schwer fallen würde.
    Letztendlich sollte man, ganz losgelöst hier von ihm-al selbst, auch mal festhalten, dass hier Empathie eine Rolle spielte und hier kein Mensch am Werk war der einfach nur eine Ware von A nach B transportiert hat. Das gibt es viel zu oft in unsrem Berufsfeld.

  • Hi!
    (die beiden Zitate dienen erst mal nur als Beispielantworten..

    Klar ist mein Verhalten diskutabel, gleichwohl habe ich natürlich eine ethisch-moralische Abwägung vorgenommen und danach entschieden. Überdies gestehe ich Menschen mit einer ausreichenden geistigen Reife einfach zu selber über ihr Leben inkl. dessen Ende bei bestimmten Begleitumständen entscheiden zu dürfen. Diese Frau hatte ihre Entscheidung eindeutig getroffen, es fehlten ihr lediglich an ihrem Wohnort - dem Pflegeheim - die Mittel

    ich für mich kann in der rettung ausschließen, dass ich so gehandelt hätte. ich kenne die patienten nicht

    @all: Sind euch schon mal Patienten untergekommen, zu denen man ganz plötzlich und schnell einen guten "Draht" hatte? Die Euch ehrlich ihr Herz ausschütten und frei weg drauf los erzählen von ihren Problemen?
    So stelle ich mir das bei ihm-al vor, und bin da ganz bei ihm..
    Grüße


    Beitrag hierher verschoben (aus "Auslöser für belastende Einsätze) (SK)

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

    Einmal editiert, zuletzt von Sebastian Kraatz ()

  • Rein vom geschriebenen liest sich das Zitierte erschreckend, das kann man recht einfach und schnell verurteilen. Betrachtet man sich die allgemeine Lage wird man sicher auch schnell dazu kommen, dass es den Menschen bei uns doch eigentlich gut geht und daher ist eine entsprechende Handlung der alten Dame vollkommen unverständlich. Gerade weil es so unverständlich für "uns" und "andere" ist wird man der Frau schnell eine psychologische Erkrankung bescheinigen und sie versuchen mit Medikamenten und vll. auch Gesprächen von den schönen Seiten des Lebens und dem Wert des Lebens zu überzeugen. Alles in allem ist das ein gute, aber nicht reflektierter Standard.
    Reflektiert man das Ganze, wird man vll. feststellen das diese Dame nicht nur ihren Kindern schon ins Grab hinter her geschaut hat, sondern vll. auch schon Enkelkindern. Betrachtet man sich das Leben einer solchen Person wird man auf das Erleben von 1-2 Kriegen und den entsprechenden Nachkriegsphasen stoßen, darauf das man in ihrer Kindheit mit aller einfachsten Mitteln gerechnet hat und man inzwischen selbst komplexeste Formeln ohne eine große Eigenleistung mit dem Handy binnen Sekunden lösen kann. Ganz von all dem ab, man muss auch mal überlegen in welchem sozialen Umfeld eine solche Person unterwegs ist. Gerade, wenn die Dame wie beschrieben geistig fit ist, durchlebt sie etwas was alles andere als selbstverständlich schön ist. Die gute Frau lebt evt. mangels Familie; Freunden und Co. die ihr zur Hand gehen können in einem Alters-/Pflegeheim und lebt da mit Leuten zusammen die gut und gerne mal mal ~ 20 Jahre jünger sind wie sie. Betrachtet man sich diese Situation merkt man schnell, dass sie weder einen Zuspruch von der Familie hat; keine "gleichaltrigen" Freunde mehr und Tag ein, Tag aus versuchen muss Freundschaften für einen ggf. sehr kurzen Zeitraum zu schließen und Gespräche zu finden mit Leuten die aus ganz anderen Zeiten kommt. In diesem Zusammenhang möchte ich mal den Gedankenanstoß geben sich zu überlegen wie es einem selbst geht, wenn man mal wieder eine neue Kraft auf dem Fahrzeug hat die ~ 20 Jahre jünger ist und man dann versuchen muss/will ein privates Gespräch aufzubauen. Solang die man die gleiche Vergangenheit und oder Interessen hat kann man leicht ein Gespräch aufbauen, doch wenn man schon nicht die selbe Vergangenheit hat und dann ggf. noch unterschiedliche Interessen, dann ist man sehr schnell alleine.


    Ich will das Vorgehen von ihm-al in keinem Fall allgemein Gutheißen, kann es aber in diesem Fall evt. nachvollziehen. Allgemein finde ich es sehr begrüßenswert, wenn man eine solche Person nicht einfach in die Schublade [Suizid = "psych. krank"] steckt, sondern sich mit der Person genauer beschäftigt.