Mannheimer Stadträte und Ärzte rügen Rettungsdienstplan des Landes / Normenkontrollverfahren beim VGH Baden-Württemberg

  • Quelle: https://verwaltungsgerichtshof…4028028/?LISTPAGE=1212860

  • Und hier eine Einordnung von Andreas Pitz:


    https://www.medrecht.org/app/d…49_22+Einordnung+Pitz.pdf

    Beeindruckende Grundsatzaussagen vom VGH, ich bin gespannt wie das den RD in BaWü und darüber hinaus verändern wird!

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Da poppt bei mir eine Frage auf: Was ist der Unterschied zwischen Schutzpflicht des Staates und der Gefahrenabwehr?

    Bei der Gefahrenabwehr geht es - wie der Begriff nahelegt - darum Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu beseitigen. Der Schutzauftrag geht weiter, da er die notfallmedizinischen "Bedürfnisse" des Notfallpatienten in den Vordergrund rückt.

  • Das heißt aber, dass die Sphäre der Gefahrenabwehr in derjenigen der Schutzpflicht enthalten ist. Ist das so richtig? Diese Stelle hat mich auch ein wenig verunsichert.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Bis das mal beschieden ist, hat das KIT vermutlich auch sein landesweites Gutachten fertig.

    Das Gutachten wurde zwischenzeitlich ausgesetzt.

  • Aus meiner Sicht sind das ganz unterschiedliche Ansätze. Beispielsweise beim Infektionsschutzgesetz geht es um die Abwehr von Gefahren, die durch einen Infizierten für die Allgemeinheit drohen. Beim rettungsdienstlichen Schutzauftrag geht es um die Behandlung dieses Patienten. Wenn man den Begriff der Gesundheitsgefahrenabwehr so verstehen will, dass es um die Abwehr von gesundheitlichen Gefahren für den Patienten geht, dann ist der Begriff aus meiner Sicht nicht richtig gewählt. Denn Gefahren muss der Staat grds. abwehren. Der Patient möchte aber wegen seines Selbstbestimmungsrechts (soweit er in der Lage ist einen freien Willen zu bilden) möglicherweise gar nicht, dass die Gefahr, die ihm droht, abgewehrt wird. Der einzige Fall, der aus meiner Sicht unter den Begriff Gesundheitsgefahrenabwehr zu fassen ist, ist daher der Patient, der in einem den freien Willen ausschließenden Zustand eigengefährdend ist. Bei der Fremdgefährdung hätten wir wieder klassische Gefahrenabwehr. Mit 98% der rettungsdienstlichen Einsätze hat diese Begrifflichkeit aber nichts zu tun. Da geht es um "ganz normale" Gesundheitsversorgung.

  • Zitat

    Der VGH stellt klar, dass die seit Jahren von der rettungsdienstlichen Selbstverwaltung im gesamten Bundesland Baden-Württemberg vorgenommene Bedarfsplanung gegen das Gesetzverstoßen hat und damit die Grundrechte der baden-württembergischen Bürger aus Art. 2 Abs.
    2 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

    Besteht eine realistische Möglichkeit, dass nun die rettungsdienstliche Selbstverwaltung ein Ende findet?

  • Besteht eine realistische Möglichkeit, dass nun die rettungsdienstliche Selbstverwaltung ein Ende findet?

    Die beklagten Umstände im Rettungsdienstplan wurden doch nicht von der Selbstverwaltung, sondern von der Politik vorgegeben. Wenn der Gesetzgeber klar sagt, dass die 10 Minuten einzuhalten sind, dann kann die Selbstverwaltung daran nicht vorbei. Man muss halt seine Aufsichtspflicht im Innenministerium und den Landratsämtern ernsthaft wahrnehmen und nicht nur immer auf andere verweisen.


    So wie ich das interpretiere gibt es jetzt zwei Optionen, wie die Politik reagieren kann. Entweder man verpflichtet die Selbstverwaltung das 10-Minuten-Ziel konsequent umzusetzen, oder man ändert das Rettungsdienstgesetz so, dass die 12-Minuten-Frist für RTW und keine Frist für Notarzt dort festgeschrieben sind.


    Ich bin gespannt, für welche Option man sich im Angesicht des Personalmangels entscheiden wird.

  • Besteht eine realistische Möglichkeit, dass nun die rettungsdienstliche Selbstverwaltung ein Ende findet?

    Der VGH sagt hierzu: "Der Senat erlaubt sich indiesem Zusammenhang allerdings die Bemerkung, dass die Frage der Rechtsträgerschaft [des Bereichsausschusses] im Rettungsdienstgesetz unzureichend geregelt sein dürfte und auch die mündli- che Verhandlung keinen eindeutigen Aufschluss über die Verwaltungspraxis ergeben hat."


    Man wird sich jedenfalls Gedanken über die Selbstverwaltungsstruktur machen müssen.

  • Die beklagten Umstände im Rettungsdienstplan wurden doch nicht von der Selbstverwaltung, sondern von der Politik vorgegeben. Wenn der Gesetzgeber klar sagt, dass die 10 Minuten einzuhalten sind, dann kann die Selbstverwaltung daran nicht vorbei. Man muss halt seine Aufsichtspflicht im Innenministerium und den Landratsämtern ernsthaft wahrnehmen und nicht nur immer auf andere verweisen.


    So wie ich das interpretiere gibt es jetzt zwei Optionen, wie die Politik reagieren kann. Entweder man verpflichtet die Selbstverwaltung das 10-Minuten-Ziel konsequent umzusetzen, oder man ändert das Rettungsdienstgesetz so, dass die 12-Minuten-Frist für RTW und keine Frist für Notarzt dort festgeschrieben sind.


    Ich bin gespannt, für welche Option man sich im Angesicht des Personalmangels entscheiden wird.

    Wenn das Mindestmaß aus notfallmedizinischen Gründen vom Gesetzgeber auf 10 Minuten festgelegt wurde, müsste es neue medizinische Erkenntnisse geben, dass zwischenzeitlich 12 Minuten und kein Notarzt mehr ausreichend sind. Gibt es die?

  • Wenn das Mindestmaß aus notfallmedizinischen Gründen vom Gesetzgeber auf 10 Minuten festgelegt wurde, müsste es neue medizinische Erkenntnisse geben, dass zwischenzeitlich 12 Minuten und kein Notarzt mehr ausreichend sind. Gibt es die?

    Gibt es denn notfallmedizinische Gründe für eine bestimmte Hilfsfrist? Das würde mich überraschen.

  • Gibt es denn notfallmedizinische Gründe für eine bestimmte Hilfsfrist? Das würde mich überraschen.

    klar.

    Beim akuten Bolusgeschehen wären es 3min. ;-)

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • klar.

    Beim akuten Bolusgeschehen wären es 3min. ;-)

    Allerdings ist die "notfallmedizinisch begründete Hilfsfrist" ja nun nicht drei, sondern zehn Minuten. Daher würde mich interessieren, welcher "Standard"-Notfall einer Hilfe in 10 Minuten (aber nicht in 12 oder 15 Minuten) bedarf.


    Die Hilfsfrist für die Feuerwehr begründet sich aus der Menschenrettung beim Wohnungsbrand und beruht auf Studien. Welcher medizinische Notfall bildet dann den Hintergrund für eine Hilfsfrist von 10 Minuten, und auf welchen Studien beruhen diese Annahmen?


    Das Bolusgschehen ist es wohl nicht. Eine Reanimation scheint mir auch nicht erst nach 10 Minuten professioneller Hilfe zu bedürfen; und wenn man darauf abstellen würde, dann würde es genügen, wenn geschultes Personal und ein AED vor Ort sind, so dass man die Hilfsfrist insoweit auch mit HvO abdecken könnte.

  • Jetzt nochmal für mich als juristischer Laie: das Gericht hat doch nicht beurteilt, ob 10, 12 oder 15 Minuten medizinisch sinnvoll sind.


    Es wurde doch beanstandet, dass im Gesetz 10 Minuten im Regelfall stehen (auch für den NA) und dass das IM per Plan ohne das Parlament daraus 12 Minuten für RTW und unendlich für den NA gemacht hat. Damit hat das IM halt seine Kompetenz überschritten.


    Das wurde doch beanstandet und nicht explizit definiert, welche Minutenzahl medizinisch sinnvoll ist.

  • Allerdings ist die "notfallmedizinisch begründete Hilfsfrist" ja nun nicht drei, sondern zehn Minuten. Daher würde mich interessieren, welcher "Standard"-Notfall einer Hilfe in 10 Minuten (aber nicht in 12 oder 15 Minuten) bedarf.


    Die Hilfsfrist für die Feuerwehr begründet sich aus der Menschenrettung beim Wohnungsbrand und beruht auf Studien. Welcher medizinische Notfall bildet dann den Hintergrund für eine Hilfsfrist von 10 Minuten, und auf welchen Studien beruhen diese Annahmen?


    Das Bolusgschehen ist es wohl nicht. Eine Reanimation scheint mir auch nicht erst nach 10 Minuten professioneller Hilfe zu bedürfen; und wenn man darauf abstellen würde, dann würde es genügen, wenn geschultes Personal und ein AED vor Ort sind, so dass man die Hilfsfrist insoweit auch mit HvO abdecken könnte.

    Die Hilfsfrist der Fw und die dazu gehörige Studie gilt aber mWn doch auch schon seit langem als "schwierig", oder? Der Sience-Slam-Beitrag dazu zeigt das, wie ich finde, recht schön. Und auch hier liegt ja ein medizinischer Wert zu Grunde für die Berechnung.


    Und zur "medizinischen Hilfsfrist": wäre es juristisch gesehen erlaubt einen Mittelwert zu bilden aus allen Notfällen?