Vorbereitung von Einsatzkräften auf das Auffinden eines Toten

  • Moin,


    ich mache mir schon seit geraumer Zeit Gedanken über ein schwieriges Thema: Wie kann man Einsatzkräfte auf den ersten Kontakt mit einem Toten vorbereiten?


    Im Rettungsdienst wird man im Idealfall durch erfahrenen Kollegen durch die Situation geleitet. Auch hat man vorher durch Schule, Gespräche mit Kollegen und die Versorgung von schwerkranken und verletzten Patienten, einen gewissen Vorlauf gehabt.


    Dieses alles fehlt normalerweise Einsatzkräften von Rettungshundestaffeln. Diese haben die stressige Aufgabe zu Zweit mit Hund im Extremfall bei Regen, im dunklen und unbekannten Wald, auf einen Suizidenten zu treffen, der sich z.B. an einem Baum erhängt hat.


    Wie kann man Leute darauf vorbereiten, die nie Kontakt mit Rettungsdienst, SanDienst, etc. hatten? Wie wird das z.B. bei den HiOrgs gehandhabt?


    Ich würde im ersten Schritt bei einem Theorieabend versuchen, eine entsprechende geistige Schublade zu öffnen, in dem man sich mit dem Thema auseinandersetzt und halt entsprechende Fotos von Auffindesituationen zeigt und bespricht.


    Aber vielleicht hat ja jemand selber Erfahrungswerte als Ausbilder?

    Einmal editiert, zuletzt von Thor ()

  • Ernst gemeint: Ein Besuch bei einem Bestatter. Bei uns sind sogar direkt mehrere in der FW aktiv, die Zusammenarbeit mit denen gerade bei solchen Einsätzen ist hervorragend. Sehr häufig sind Bestatter durchaus bereit dazu einen Blick hinter die Kulissen werfen zu lassen. Eine mir bekannte Bestatterin hat das sogar mit Schulklassen gemacht.

  • Eine mir bekannte Bestatterin hat das sogar mit Schulklassen gemacht.

    Wow, Respekt! Nicht das mich das stören würde, aber wenn ich mal so dran denke, wie ein großer Teil der Eltern sich so im Kindergarten, Hort und Schule verhält ist das schon recht mutig. Schlimm ist es ja mehr im jungen Alter der Kinder. Ich gehe auch mal davon aus, dass hier ältere Schüler (9-10 Klasse?) gemeint waren. Jörg wird da sicher ein Lied von singen können. Die Erzieherinnen im Kindergarten sind immer ganz erstaunt, wenn wir gelassen reagieren wenn der Bengel mal wieder von Hacke bis Nacke voll Sand ist, mal ne Hose beim spielen kaputt gegangen ist, usw. Manche Eltern machen dabei wohl immer ne Welle. Zur Sache selbst: Die Idee sich so mit dem Tod zu befassen finde ich gar nicht schlecht. Mich würde es nicht stören, wenn meine pubertierenden Kinder in den höheren Klassen einen Bestatter oder eine Pathologie besuchen würden. Ob die das ab können ist die andere Sache. Vielleicht bin ich dabei so gelassen, weil ich es kann und es für mich normal ist den Tod jeden Tag um mich rum zu haben. Andere sicher aber nicht. Aber mal den Ponyhof zu verlassen und die Realität zu zeigen sollte doch eigentlich nicht so falsch sein, oder?


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Pathologie/Rechtsmedizin wäre wahrscheinlich ein interessanter Ansatz. Macht eine Rettungsdienstschule in meiner Nähe wohl als Exkursion zu den RS-Lehrgängen. Ist zwar blutiger/medizinischer als beim Bestatter, aber man sieht vielleicht auch mal was "schlimmeres", was einem im Einsatz auch begegnen könnte.


    Oder gar ein zweistufiges Konzept Bestatter -> Pathologie?

  • Ein Dienstabend in Zusammenarbeit mit der Notfallseelsorge, Thema PSNV, Tod & Sterben, Hilfe(n) für Helfer, würde sicher auch in eine Ausbildungsserie zu o.g. Themenschwerpunkt passen.


    Viele Grüße

  • Ich denke Pathologie ist ggf eine zu krasse Erfahrung für ggf völlig "jungfräuliche" Einsatzkräfte. Der Bestatter ist da zunächst die bessere Anlaufstelle, da ich den Bestattern auch etwas mehr Empathie unterstelle. Der Anblick eines Toten sollte erst mal seinen Schrecken verlieren. Das geht besser, wenn man zB über natürlich Verstorbene beim Bestatter ran geführt wird. Ich hatte das "Glück", die krassen und belastenen Todesfälle erst nach eher natürlichem Versterben erleben zu müssen. Dadurch hatte das Thema Tod bereits sehr vieö Schrecken verloren.


    Man darf bei solchen Schulungen einen Punkt nicht vergessen: Man muss seine Grenzen kennen und niemanden etwas beweisen. Es ist völlig okay zu sagen: Das ist mir zu viel, ich möchte gehen. Eine Hundestaffel muss bei der Bergung nicht dabei bleiben, wenn es zu viel wird!


    Man muss Angst nehmen, aber auch betonen, dass jeder andere Grenzen hat und das kein Versagen ist.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Egal,welche Exkursion/Schulung unternommen wird:
    zunächst einmal offene Gesprächsrunde über den ersten selbsterlebten toten Menschen.
    Dies dürfte wohl regelhaft ein nahestehender Mensch gewesen sein - entweder im häuslichen Bereich oder im Krankenhaus/einer Pflegeinrichtung.


    Dieser Anblick/dieses Sinneserlebnis unterscheidet sich aber sehr vom Auffinden einer Leiche im Gelände, wo Witterungseinflüsse u.a.m. eingewirkt haben können.


    Mein Vorschlag wäre ein Vortrag durch das K11 des zuständigen Polizeipräsidiums.
    In der vorherigen Kontaktaufnahme wird dann ja klargestellt, daß es hier um eine Einsatzkräfteschulung geht und nicht um eine Stammtischrunde.
    Dies ist aber wichtig für die Auswahl der eingesetzten Bildmaterialien.

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Zitat

    Wie kann man Einsatzkräfte auf den ersten Kontakt mit einem Toten vorbereiten?

    Ganz ehrlich? Gar nicht!
    Das Fachliche (also sichere Todeszeichen etc.) sollte natürlich bekannt sein, aber die Emotionen kann und darf man nicht trainieren.


    Und warum zur Hölle sollte man eine Einsatzkraft schon im Voraus mit Toten konfrontieren?! Gerade jemand aus der Rettungshundestaffel ist doch in der glücklichen Position eventuell niemals einen Toten sehen zu müssen, warum sollte man diesen Einsatzkräften also unnötig mit dem Anblick von Toten belasten?

  • Ich gebe Dir recht: Emotionen sind nicht trainierbar.


    Doch für mich ist es ein verantwortungsbewusster Umgang mit potentiellen Einsatzkräften.
    Ob wirklich jemand für eine bestimmten Dienst geeignet ist wird erst in der (manchmal harten) Realität festgestellt.
    Bei vielen Feuerwehren ist es durchaus üblich junge (und hochmotivierte) - dafür aber unerfahrene Einsatzkräfte nicht mit bestimmten Situationen (Leichenbergung eingeklemmte Person, Brandleiche...) zu konfrontieren.


    Aus diesem Grund halte ich eine Heranführung an die Thematik für hilfreich.
    Ansonsten gehe ich das Risiko ein, daß jemand mit/nach dem ersten Einsatz bereits ausgebrannt ist.

    raphael-wiesbaden


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  • Eine Schule in Berlin geht mit jeder RettAss (nun NotSan) Klasse in die Gerichtsmedizin.


    Das finde ich vernünftig.



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    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Und warum zur Hölle sollte man eine Einsatzkraft schon im Voraus mit Toten konfrontieren?! Gerade jemand aus der Rettungshundestaffel ist doch in der glücklichen Position eventuell niemals einen Toten sehen zu müssen, warum sollte man diesen Einsatzkräften also unnötig mit dem Anblick von Toten belasten?


    Ob man sich jetzt einen Toten beim Bestatter oder in der Rechtsmedizin anschauen muss/kann, sei dahin gestellt. Aber eine Beschäftigung mit dem Thema liegt auch in der Verantwortung der Führungskräfte für ihre Einsatzkräfte. Beim derzeitigen Einsatzaufkommen ist es nicht ein Frage ob, sondern eher wann jemand einen Totfund hat. Und von daher finde ich es nur vernünftig, irgendwie schon mal eine gedankliche Schublade zu öffnen, um eine Konfrontation später besser verarbeiten zu können. :)


    Von daher danke ich allen für ihre Anregungen.

  • Zitat

    Gerade jemand aus der Rettungshundestaffel ist doch in der glücklichen Position eventuell niemals einen Toten sehen zu müssen, [...]


    Wie bitte? Personensuche im Wald, vermisste Person am Gewässer, eingestürzte Häuser..... alles schon mal gehört, oder?


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    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:


  • Eine Schule in Berlin geht mit jeder RettAss (nun NotSan) Klasse in die Gerichtsmedizin.
    Das finde ich vernünftig.

    Ich auch. Zumindest als NFS-Azubi hat man aber auch schon vorher Kontakt mit Toten gehabt und der Besuch der Gerichtsmedizin findet aus einem fachlichen Interesse statt.
    Ehrenamtlichen Helfern einen Toten zu zeigen, nur damit sie mal einen Toten gesehen haben ist aus meiner Sicht einfach Schwachsinn!


    Ein "Abhärten" oder "Gewöhnen" funktioniert sowieso nicht, da die reale Einsatzsituation und der Zustand des Toten dann ein völlig anderer ist.
    Aus ethischer und psychologischer Sicht finde ich die Idee auch bedenklich, da man damit unter Umständen einen unnötigen Schaden anrichtet.


    Die gedankliche Beschäftigung findet bei den Einsatzkräften so oder statt, spätestens wenn man bei einem Dienstabend über sichere Todeszeichen spricht, da muss man nichts erzwingen.


    Also was soll der Aufwand?

  • Wir (Krisenintervention) gehen in die Rechtsmedizin um unsere neuen Helfer vorzubereiten. Die Bestatter haben abgewunken das die Angehörigen der Verstorbenen nicht zustimmen würden.


    Der Besuch der Rechtsmedizin hat bei uns niemanden belastet aber alle wurden auf die Toten in den Einsätzen besser vorbereitet.


    Wir haben in unseren Wochenendlehrgängen "PSNV Grundlagen I" auch regelmäßig Mitglieder von Rettungshundestaffeln.

  • Der Besuch der Rechtsmedizin hat bei uns niemanden belastet aber alle wurden auf die Toten in den Einsätzen besser vorbereitet.

    Woher weißt du das es niemanden belastet? Die wenigsten Helfer werden sich trauen in die Richtung etwas zu äußern, ebenso wird es nicht jeder Helfer bewusst wahrnehmen wenn ihn diese Erfahrung geschädigt hat.


    Woran erkennst du dass die Einsatzkräfte "besser" auf Tote vorbereitet sind? Wo liegt der Unterschied zu einem Helfer der bei einem echten Einsatz mit Todesopfern "mitläuft"?

  • Wenn ein Helfer der Krisenintervention nicht genug Selbstreflexion für eine derartige Äußerung mitbrächte, dann liefe da was ganz grundsätzlich falsch.

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  • Du denkst nachdem alle anderen Helfer sagen was für eine super tolle und bereichernde Erfahrung das angucken von einem Toten war, sagt dann einer der Helfer:
    "hey, ich muss sagen... seit der Rechtsmedizin vor zwei Wochen habe ich ziemlich unruhig geschlafen, ich denke das steht im Zusammenhang... aber bitte glaubt jetzt nicht ich wäre nicht geeignet." :ironie:


    Soweit ich den Thread hier lese gibt es nur Vermutungen und keine Beweise dafür, dass ein Helfer wirklich anders mit der Belastung umgeht.
    Dafür addiert sich bei dieser Art von "Training" dann eine zusätzliche belastende Situation in das Gedächtnis des Helfers und er kommt näher an den Punkt der Überforderung.

  • Blutverlust:
    auch Deine Aussage ist eine Vermutung und wird sicherlich nicht belegbar sein.


    Fakt ist, daß unsere Gesellschaft den Bereich von "Tod und Sterben" weggelegiert hat.
    Ein natürlicher Tod im gewohnten häusliche Umfeld ist trotz des Ausbaus vieler Palliativgruppen usw. eher die Ausnahme.
    Gestorben wird im Pflegeheim, der Klinik - wenn es gut geht in einem Hospiz.


    Das Empfinden von Trauer ist aber ein natürlicher Prozeß - diese Erfahrung macht jeder, der (Klein)Kinder erlebt, die den Tod ihres Haustiers erfahren.
    Das Durchlaufen von Trauerphasen ist eindeutig wissenschaftlich belegt.
    Ebenso gesichert ist das unterschiedliche Verstehen von "Tod" bei (Klein)Kindern, anhängig von Entwicklung/Lebensalter.


    Aus vierzehn Jahren Notfallseelsorge ist mir aber die sehr unterschiedliche Reaktion von Hinterbliebenen bekannt, die "plötzlich und unerwartet" mit dem Tod eines nahestehenden Menschen konfrontiert werden.
    Die Todesursache war hier nur selten "schön" und teilweise forderten Kinder/Jugendliche/Erwachsene sehr energisch den Kontakt, die Inaugenscheinahme des Toten.
    Dies betraf nach meiner Erfahrung Tote mit Z.n. Suizid durch Erhängen (hier auch nach mehrtägigem Aufenthalt in einem sehr warmen Raum im Hochsommer) oder Erschiessen als auch Wasserleichen u.a.m.
    In all diesen Situationen wurden die Hinterbliebenen 1:1 betreut und informiert, daß bspw. bestimmte Körperregionen nicht zugänglich sind.
    Dies war aber nur deswegen möglich, weil eben die Einsatzkräfte der Notfallseelsorge durchaus Eigenerfahrungen mit "unschönen Leichen" hatten


    Ich denke, daß es bei diesem Thema keinen Konsens geben wird.
    Zu indididuell sind die lokalen/regionalen Gegebenheiten sei es bei der Helferauswahl, dem Aufwand der Schulung, der zur Verfügung stehenden Ressourcen, letztendlich dem, was man heutzutage als Netzwerk bezeichnet.


    Aus Fürsorgepflicht den Einsatzkräften gegenüber und auch aus der hoffentlich jetzt akzeptierten Tatsache, daß der Nachwuchs nicht einfach vom nächsten Baum gepflückt werden kann:
    ausführliche Ausbildungen auch über den originären Tellerrand hinaus - Nutzen ALLER lokalen/regionalen Ressourcen unabhängig vom Ärmelabzeichen und Reflektion des Geschultem und Erfahrenem/Erlebten

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Zitat

    Dafür addiert sich bei dieser Art von "Training" dann eine zusätzliche belastende Situation in das Gedächtnis des Helfers und er kommt näher an den Punkt der Überforderung.


    Dass die Inaugenscheinnahme eines fremden Toten im kontrollierten Umfeld der Rechtsmedizin eine "belastende Situation" sein muss, erscheint mir allerdings auch unbelegt. Der Umgang mit Leichen gehört nicht nur zur Ausbildung von Bestattern und Medizinern, auch Juristen und Polizeibeamten, dazu, sondern ist letztlich ein Teil des Lebens, der allerdings heute weitgehend aus demselben verschwunden ist. Ich sehe daher ehrlich gesagt nicht, was dagegen sprechen sollte, einen solchen in Augenschein zu nehmen.


    Dass es hilfreich sein kann, mit dem Tod nicht erstmals in einer Einsatzsituation konfrontiert zu werden, insbesondere dann, wenn der Leichnam in einem potentiell unschönen Zustand ist, erscheint mir im übrigen naheliegend.


    Wichtig ist aber in jedem Fall, das Angebot freiwillig zu halten und über denjenigen, der sich dem - auch währenddessen - entziehen will, deswegen nicht zu verspotten. Es muss vielmehr klar kommuniziert werden, dass es völlig in Ordnung ist, an einer solchen Veranstaltung nicht teilzunehmen oder sie zu verlassen.

  • Dies betraf nach meiner Erfahrung Tote mit Z.n. Suizid durch Erhängen


    und auch aus der hoffentlich jetzt akzeptierten Tatsache, daß der Nachwuchs nicht einfach vom nächsten Baum gepflückt werden kann:


    Das wäre dann auch eine etwas makabere Art der Nachwuchsgewinnung. Und zu spät.